Darum werden so wenige Windräder gebaut
#5 – Heute außerdem mit: Spendengala, Reichsbürger, Steuervorteile, Fußballdoping, Iran
Ihr lieben Recherche-Interessieren:
Es gibt zwei Dinge, die so wichtig sind, wie kaum etwas anderes derzeit: Wie können wir möglichst viel Energie sparen? Und wie können wir die Energie, die wir brauchen, aus erneuerbaren Quellen beziehen? Wie hart die politischen Kämpfe um die zweite Frage sind – und wie wichtig starker Journalismus für diese Debatten sein kann – zeigen zwei Recherchen, die ich Euch diese Woche vorstelle.
taz — Energiewende auf Abstand
Vor gut 1,5 Jahren hatten mehrere Aktivist*innen und der Journalist Michael Kreil die Geodaten aller Häuser in Deutschland öffentlich gemacht. Diese Daten hatten sie auf einer Bundeswebseite gefunden, in einigen Bundesländern werden die Daten längst kostenlos und öffentlich zur Verfügung gestellt. Trotzdem hat die bayerische Landesregierung damals Strafanzeige gegen Kreil gestellt, wegen angeblichen Verstoßes gegen das Urheberrecht.
Jetzt hat Kreil die Daten ausgewertet und zeigt in einer Veröffentlichung bei der taz, warum sie hohe öffentliche Relevanz besitzen. In seiner Analyse belegt er: Würden die bayerischen Abstandsregeln für Windkraftanlagen im ganzen Bundesgebiet gelten, gäbe es fast keine Orte in Deutschland, an denen man überhaupt noch Windräder aufstellen könnte.
Die Gesellschaft für Freiheitssrechte setzt sich jetzt für Kreil ein und unterstützt ihn bei einer Bei diesem Streit geht es um die sehr gründsätzliche Frage, ob die Verwaltung Urheberrechtsansprüche auf (Geo-)Daten haben darf. Hier schreibt die GFF, wie sie Kreil und den Kampf für Pressefreiheit unterstützt. (Die GFF ist ganz grundsätzlich eine großartige NGO, die ich als Fördermitglied unterstütze und die ich jedem nur ans Herzen legen kann.)
Süddeutsche Zeitung — Stürmischer Kampf gegen die Windkraft
Ein kleiner Verein aus der Oberpfalz hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Windkraft-Projekte in ganz Deutschland verzögert oder sogar verhindert. Finanziert aus Spenden des vor vier Jahren verstorbenen Vaters von Karl-Theodor zu Guttenberg klagt der Verein gegen die Windkraft wo er nur kann. Die Süddeutsche Zeitung hat an einigen Beispiel erzählt, warum das den Klimaschutz erheblich verzögert.
andererseits – Das Spenden-Problem
„Licht ins Dunkel“ ist die vielleicht bekannteste Spenden-Aktion in Österreich. Jedes Jahr wird für Menschen mit Behinderungen gesammelt. Verranstalter ORF und seine Gäste aus Politik und Wirtschaft feiern sich dafür. Das Problem: Menschen mit Behinderungen werden bei der Aktion als Opfer dargestellt, als leidende, hilflose Menschen, die nicht funktionieren. Gleichzeitig tun sowohl die österreichische Politik als auch die großen Unternehmen viel zu wenig für strukturelle Veränderungen. Mit ein paar Spenden wird die Verantwortung abgewälzt, inklusive Strukturen aufzubauen. In der Redaktion von andererseits arbeiten Journalist*innen mit und ohne Behinderung zusammen. Und entdecken dabei ganz Themen, die in weniger diversen offenbar Medien übersehen werden. „Das Spenden-Problem“ ist ihre erste große Recherche. Die Doku hatte direkt Impact: ORF-Generaldirektor Roland Weißmann kündigt einen Runden Tisch zu “Licht ins Dunkel” an, um die Zukunft der Spenden-Aktion zu besprechen. Hier kann man die noch rechte neue Redaktion unterstützen.
ORF — Florian Flade zur Reichsbürger-Razzia
Die wohl beste Zusammenfassung der großen Reichsbürger-Razzia gab es am Mittwochabend ausgerechnet in Österreich. Der bestens vorbereitete ZIB2-Moderator Armin Wolf sprach mit meinem NDRWDRSZ-Kollegen Florian Flade, der seit Monaten zu den Ermittlungen der Behörden recherchiert.
Reporter*innen-Preis — Beste Investigation, Multimedia, Datenjournalismus
Vergangene Woche Montag ist in Berlin der Reporter*innen-Preis verliehen worden. In drei Kategorien sind Recherchen ausgezeichnet worden, die relevant sind für unseren Newsletter und die ich deshalb empfehlen möchte. „Elf Tage in Kabul“ – eine aufwändige Rekonstruktion der letzten Tage vor der Machtübernahme der Taliban im Spiegel – hat die Kategorie Investigation gewonnen. „Was Zwangsarbeit mit Deinem T-Shirt zu tun hat“ ist ein aufwändiges Projekt von „five times“ und STRG_F im NDR, das mit Hilfe von Satellitendaten und Stoffanalysen zeigt: Viele T-Shirts sind offenbar mit Baumwolle aus Xinjiang hergestellt worden. Und damit vermutlich mit Zwangsarbeit. „Die Schlacht um Mariupol“ der Kolleg*innen von der Zeit und Zeit Online rekonstruiert detailliert den Kampf um die entscheidende ukrainische Küstenstadt Mariupol und ist in der Kategorie Multimedia ausgezeichnet worden. Hier sind sogar alle nominierten Beiträge nachzulesen – mehr als 100 Stücke großer Journalismus.
Investigate Europe – Wie EU-Regierungen mit ihrer Steuerpolitik die Wohnungskrise antreiben
Zahlreiche europäische Länder begünstigen die Spekulation mit Immobilien und geben Menschen, die mit Wohnungen und Häusern handeln, große Steuernachlässe. In Deutschland zum Beispiel sind Gewinne aus einem Immobilienverkauf steuerfrei, wenn die Immobilie vorher zehn Jahre lang den gleichen Besitzer hatte. Vermieter können sich zudem von der Gewerbesteuer befreien lassen und Erben müssen keine Erbschaftssteuer zahlen, wenn sie mehr als 300 Wohnungen erben und diese fünf Jahre lang halten. Solche Steuervorteile gibt es in zahlreichen europäischen Ländern, hat Investigate Europe herausgefunden, eine gemeinnützige, investigative Redaktion mit rund 20 Kolleg*innen in zahlreichen europäischen Ländern. Den Steuervorteil beziffern sie mit „Hunderten Milliarden Euro“.
abc News — Iran accused of stealing bodies of slain protesters as families rush to reclaim loved ones
abc News berichtet darüber, dass das iranische Regime offenbar die Körper von toten Demonstranten vor den Familien versteckt hält, damit diese keine Beerdigungen abhalten können – denn Beerdigungen sorgen während der Proteste derzeit stets dafür, dass viele Menschen zusammen kommen und sich neue Proteste entzünden. Aus Angst davor, die Körper ihrer toten Verwandten nicht wieder zu bekommen, versuchen nun offenbar wiederum iranische Familien, diese vor dem Regime zu verstecken.
ARD – No Limits: Wenn der Fußball keine Grenzen kennt
Im Schnitt ist zuletzt alle vier bis fünf Tage ein gedopter Fußballer aufgeflogen. Auch mehrere bei der WM spielende Teams hatten kürzlich Dopingfälle. Ein Grund offenbar: Die immer mehr zunehmende Belastung der Spieler. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt trägt mit seinem Team aktuelle Fälle und das strukturelle Problem zusammen. Das freut mich sehr – schon 2012, damals noch bei der Funke-Mediengruppe, hatte ich mit fussballdoping.de ein Recherche-Projekt zu Doping im Fußball gestartet, das zuletzt von meinen Ex-Kolleg*innen um Jonathan Sachse bei Correctiv fortgeführt wurde. Wer stöbern mag: hier entlang.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel