Gnadenlos gute Geheimrecherchen zu Katar, Bier, Alkohol und Diplomaten
#1 – Heute außerdem mit: drei Newsletter-Tipps zu Internet und Klima-Recherchen
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Vielen Dank, dass Ihr schon vor der ersten Ausgabe so zahlreich diesen neuen Newsletter abonniert habt. Wir sind aus dem Stand mehr als 600 Leute –– das freut mich. Wenn Ihr andere Menschen kennt, die sich über Hinweise auf gute Recherchen freuen würden, leitet diesen Newsletter gerne weiter.
Ich hab grad nochmal nachgeschaut: Sonntag geht die Fußball-WM in Katar los. Dass es bald losgeht, ist tatsächlich kaum zu übersehen, so viel wie in den vergangenen Wochen dazu veröffentlicht wurde. Die meisten Recherchen habe ich an mir vorbei rauschen lassen – aber drei habe ich in den vergangenen Tagen geschaut und gelesen, die ich empfehlen möchte. Diese Recherchen sind auch für all jene spannend, die wie ich lange kein Fußballspiel mehr im Stadion oder Fernsehen gesehen haben.
Richtig tief eingetaucht in eine Geheimoperation der katarischen Regierung sind die Kolleg*innen des SRF-Rechercheressorts. Sie zeigen in einer ziemlich unglaublichen Recherche, wie Katar in den vergangenen Jahren für hunderte Millionen Dollar eine Geheimdienstoperation betrieben hat, die offenbar massiv FIFA-Funktionäre, Ermittler und Katar-Kritiker wie auch Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger ausspioniert hat, um die Fußball-WM trotz aller Kritik behalten zu können. „Die Opfer waren den Spionen ausgeliefert. E-Mail-Accounts, Computer, Telefone, bis in den Freundeskreis, sogar bis in die Familie – überall hin drangen die Schattenkrieger Katars vor.“ Geführt worden sein soll die Spionage-Operation vom Chef der katarischen WM-Bewerbung. Den Schweizer Behörden soll die Operation seit Langem bekannt gewesen sein, sie hätten aber laut SRF nicht ausreichend ermittelt. Der SRF veröffentlicht zahlreiche Dokumente und hat die Recherche sehr nachvollziehbar aufbereitet.
In dieser ZDF-Doku recherchiert Autorin Julia Friedrichs gemeinsam mit Sportjournalist Jochen Breyer, wie es Katar gelang, die WM in die Wüste zu holen. Die Doku ist eine gelungene Mischung: Auch als jemand, der nicht alles verfolgt hat in den vergangenen Jahren, bekomme ich eine gute Übersicht über das Problem. Und gleichzeitig gelingt es Friedrichs und Breyer, ein paar Schritte weiterzukommen in der Frage, was (außer einer teuren Geheimdienst-Operation) dazu geführt haben könnte, dass Katar die WM nicht nur zugesprochen bekam, sondern trotz aller Skandale auch behalten durfte: Es geht um die Rolex-Uhren von Bayern-Chef Rummenigge und überraschend hochdotierte TV-Verträge.
Der große Deal – Süddeutsche Zeitung
Und noch eine weitere Recherche zur WM in Katar: Die Süddeutsche Zeitung fragt sich, warum FIFA-Präsident Gianni Infantino seit Jahren „auf irritierende Weise unantastbar“ scheint. Die Arbeit der Kollegen legt nahe, dass Infantino mit der US-Justiz und -Politik kooperiert haben könnte und ihm auch dank der Vergabe der WM 2026 an die USA so etwas wie Immunität gewährt worden sein könnte. Ein wilder Ritt mit vielen spannenden Details.
Fußball und Bier – WDR Die Story
Fußball, aber nicht Katar: Studien legen nahe, dass ein Viertel aller Krebserkrankungen in Europa von Alkohol mitverursacht werden. Trotzdem gibt es in Deutschland kaum Beschränkungen, was den Verkauf von und die Werbung für Alkohol betrifft. Die 45-minütige Doku der WDR-Kollegen zeigt, wie die Alkoholindustrie nicht nur den Fußball, sondern auch die Politik dominiert – in Berlin wie in Brüssel. Diese Doku ist das beste, was ich bisher zum Thema Alkoholindustrie gesehen habe (und das sage ich als jemand, der im Jahr 2017 selbst an einer aufwändigen Recherche von Correctiv und ZDFzoom zum Thema beteiligt war).
Honorarkonsuln als Sicherheitsrisiko – NDRWDRSZ
Eine neue Recherche von meinen Kolleg*innen bei NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung – gemeinsam unter anderem mit dem ICIJ, ProPublica und dem Spiegel – hat sich mit dem System der Honorarkonsuln beschäftigt. Und zeigt, dass verurteilte Drogenhändler, Mörder, Sexualstraftäter und Betrüger als Diplomaten tätig waren. Hunderte dieser Honorarkonsuln waren in Straftaten und Skandale verwickelt. Hier geht’s zur etwas ausführlicheren Veröffentlichung bei der Süddeutschen Zeitung.
IKEA nutzte Zwangsarbeit in Belarus – Disclose
Yap, das lest Ihr richtig: IKEA hat für eine Reihe von Produkten in den vergangenen Jahren Zwangsarbeit in belarussischen Gefängnissen genutzt. Genauer: Mindestens zehn Zulieferer von IKEA in Belarus haben das getan. Zwangsarbeit in Gefängnissen, in denen auch politische Gefangene der gescheiterten Revolution von 2020 einsaßen und arbeiteten. Für Produkte, die das französische Recherchebüro Disclose auch in einem deutschen IKEA-Markt fand.
Grüne Schale, brauner Kern – Kölner Stadtanzeiger
Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke hat mit dem Kölner Stadtanzeiger zur rechts-esoterischen Anastasia-Bewegung recherchiert. Und zeigt, dass die Gruppe in NRW in immer mehr Projekten Fuß fasst. „Im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel fielen dieser Zeitung etwa ein Dutzend Projekte verschiedener Bewegungen in NRW auf. Klar ist jedoch: Die Dunkelziffer könnte viel höher liegen, denn auch in weiteren Teilen des Bundeslandes und über die Landesgrenzen hinweg gibt es Planungen für Projekte im Verborgenen.“
Zum Abschluss noch drei Newsletter-Tipps.
Wer sich für den Absturz von Twitter interessiert (oder ganz grundsätzlich für die Probleme der sozialen Medien), dem empfehle ich zwei Newsletter von ehemaligen BuzzFeed-US-Kollegen.
Zum einen „Platformer“, ein Substack-Newsletter, der – Überraschung – die großen Plattformen kritisch begleitet, mit klugen Analysen und immer wieder auch mit exklusiven Recherchen. Auf Twitter haben Platformer-Gründer Casey Newton und seine Kollegin Zoë Schiffer derzeit regelmäßig relevante Scoops.
Zum anderen „Garbage Day“, ein weiterer Substack-Newsletter, in dem sich Ryan Broderick mit den Untiefen des Internets beschäftigt und zwischen 4chan, Reddit und Twitter pendelt. Seine Texte sind keine klassischen Recherchen, aber häufig sehr gut beobachtete, tiefe Einblicke in die vorderste Front der Internet-Kultur.
Und zum Dritten: Der Klima-Newsletter meiner Ex-Kolleg*innen des gemeinnützigen Recherchebüros Correctiv. Die Klima-Redaktion von Correctiv hat in den vergangenen Monaten einige der besten (investigativen) Recherchen zu Klimathemen im deutschsprachigen Raum veröffentlicht. Wer das wichtigste Recherchethema der kommenden Jahrzehnte eng begleiten möchte, dem sei dieser Newsletter empfohlen.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel