Gute Klima-Recherchen mit langfristigem Impact
#9 – Heute außerdem mit: Milliardendeal, Drogentoten, Sportwetten, Wasserverschmutzung und einem lukrativen Hauskauf
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
In den vergangenen Tagen hat sich einmal mehr gezeigt, welch großen Einfluss investigativer Journalismus auf die öffentliche Diskussion haben kann – auch noch Jahre später.
Im Jahr 2015 hatte das amerikanische Recherchebüro „Inside Climate News“ aufgedeckt, dass der weltgrößte Ölkonzern Exxon bereits seit den späten 1970er Jahren sehr genau wusste, dass das Verbrennen fossiler Energie zu einer menschengemachten Klimakrise führen würde. Doch statt die Öffentlichkeit zu informieren, tat Exxon jahrzehntelang das Gegenteil. Der Konzern zog neue Studien in Zweifel und versuchte, von der Klimakrise abzulenken.
Auch auf Basis der journalistischen Recherchen von „Inside Climate News“ haben jetzt drei Forscher ein Papier veröffentlicht, in dem sie noch einmal zeigen, wie genau Exxon Bescheid wusste. Das Ergebnis, veröffentlicht in der hoch angesehenen Fachzeitschrift Science, sorgte in den vergangenen Tagen für Artikel in allen großen Medien und für hunderttausende Tweets: Exxon – so das Kernergebnis – hat die Klimakrise bereits Anfang der 80er Jahre so genau prognostiziert wie kaum jemand sonst.
Das Paper ist hier noch eine gute Woche frei abrufbar.
Und hier geht’s zur auslösenden Recherche von „Inside Climate News“ in 2015: „Exxon – The Road Not Taken“ war damals auch Finalist für den Pulitzer-Preis.
NDR/SZ – Das Klima und die Reichen
Privatjets, Yachten, große Autos: Das reichste Prozent der Bevölkerung stößt mehr CO2 aus als die ärmere Hälfte aller Menschen. Meine Kolleg*innen von NDR und SZ haben in den vergangenen Monaten zur Klimaschuld der reichsten Menschen recherchiert. Und zeigen: Ohne die Einsicht der Superreichen – oder mehr Regeln – werden wir das noch vorhandene Klimabudget nicht einhalten können. Jeder Mensch sollte bis 2050 im Jahr nur noch drei Tonnen CO2 ausstoßen, im Schnitt verbraucht jeder Deutsche derzeit etwa zehn Tonnen im Jahr, die Superreichen dagegen mehr als 2000 Tonnen. Im Gespräch mit dem NDR spricht sich Vizekanzler Robert Habeck trotzdem gegen ein individuelles Klimabudget aus.
Gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung hat der NDR unter anderem zahlreiche Flüge von Privatjets ausgewertet. Und kann zeigen, dass nicht nur die Anzahl der Privatjet-Flüge in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen sind; auch die Dauer der Flüge ist extrem kurz. So fanden die Kolleg*innen hunderte Flüge von Münster nach Essen, eine Strecke von rund 100 Kilometern, die mit Auto oder Bahn jeweils nur etwa eine Stunde dauert.
Der Spiegel – Wie eine Gruppe linker Journalisten den großen Deal mit einer Berliner Immobilie machte
Anfang der 1990er Jahre kaufte eine Gruppe mehr oder weniger bekannter Journalist*innen ein günstiges Haus in Berlin-Kreuzberg, ließ dieses aufwändig sanieren – und nutzte dabei mehrere Millionen Euro Zuschuss eines besonders lukrativen Förderprogramms. Zur Gruppe gehörte die zwischenzeitliche Chefredakteurin der Berliner Zeitung, Brigitte Fehrle, die auch immer wieder lautstark gegen Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt anschrieb. Doch die Gruppe um Fehrle hielt sich offenbar selbst nicht an die Auflagen für die Förderung der Stadt Berlin. Und will jetzt, 30 Jahre später, das Haus für sehr viel mehr Geld verkaufen. Darum gibt es Streit. Eine komplizierte, spannende Geschichte, die der Spiegel mit dem entsprechenden Aufwand und viel Platz erzählt. Und über die am Wochenende vermutlich die Hälfte aller Journalist*innen in Deutschland gesprochen hat.
Washington Post – Drugs killed 8 friends, one by one, in a tragedy seen across the U.S.
Mehr als 100.000 Menschen sterben in den USA jedes Jahr an einer Überdosis Drogen. Häufig sind es Fentanyl oder Heroin, häufig beginnt die Sucht mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Schmerzmitteln. In dieser Recherche beschreiben die Kolleg*innen, wie sich die Epidemie in einem typisch amerikanischen Uni-Städtchen auswirkt. Und wie in wenigen Jahren ein halber Freundeskreis an den Drogen gestorben ist. Wer mehr über die Opioid-Krise in den USA lesen möchte, dem empfehle ich das herausragende Buch „Empire of Pain“ (im Deutschen erschienen als „Imperium der Schmerzen“) von Patrick Radden Keefe. [Gute Sachbücher empfehle ich übrigens regelmäßig drüben in meinem Newsletter „Sachbuchliebe“.]
NDR/WDR/SZ – Teurer Auftrag trotz „erheblicher Bedenken“
Die Bundeswehr hat Spionageschiffe für zwei Milliarden Euro bestellt, ohne im Vertrag eine konkrete Leistungsbeschreibung festzulegen. Der Bundesrechungshof kritisierte das, trotzdem kam der Vertrag zustande. Jetzt droht eine Explosion der Kosten, mal wieder. Besonders spannend, finde ich: Die Bremer Lürssen-Werft verschaffte sich beim Bieten um den Vertrag einen Vorteil, indem sie mit zwei wichtigen Firmen Exklusiv-Verträge abschloss. So hatten andere Werften Schwierigkeiten, die Bedingungen der Ausschreibung zu erfüllen. Dabei wollte der Bund genau solche Absprachen eigentlich verhindern. Die SZ-Berichterstattung findet Ihr hier: „Der schlechteste Vertrag, den ich jemals gesehen habe“
New York Times – Key Findings of The Times’ Investigation of Sports Betting
In den vergangenen vier Jahren haben viele Staaten in den USA Sportwetten legalisiert. Seitdem wird das Land überschwemmt. Die New York Times beschrieb schon im November (passend zur Fußball-WM), wie Lobbyist*innen mit falschen Versprechen für die Legalisierung gekämpft haben, wie sich Universitäten den Zugang zu ihren Student*innen mit Millionendeals bezahlen ließen und wie Staaten völlig überfordert davon sind, die Anbieter ernsthaft zu regulieren. Die Serie ist von einem All-Star-Team der New York Times recherchiert worden, darunter die jeweils dreifachen Pulitzer-Gewinner Eric Lipton und Walt Bogdanich. Redigiert hat die Serie David Enrich, der zwei meiner Lieblingsbücher geschrieben hat („Dark Towers“ und „The Spider Network“). Dementsprechend stark lesen sich die einzelnen Teile der Recherche.
Am Freitag startet übrigens bei meinen Kolleg*innen der Süddeutschen Zeitung ein Podcast über „Das System Sportwetten“ in Deutschland. Hier geht’s zum Trailer des Spotify Originals.
Republik – „Die Firma“
„Es gab Tage, da war kein Geld mehr in der Kasse, und es gab keine Lebensmittel mehr im Haus“, berichtet eine ehemalige stellvertretende Kitaleiterin. „Also musste ich die Einkäufe mit meinem Geld bezahlen und zum Einkaufen die Kinder mitnehmen, weil zu wenig Personal da war.“ Das Schweizer Magazin Republik hat 2019 über Missstände bei Globegarden berichtet, dem größten Kita-Betreiber der Schweiz. Zuletzt hatte ich hier Recherchen des BR und der ZEIT zu Gewalt und Missbrauch in Kitas geteilt und darum gebeten, mich auf weitere Recherchen zur Problematik hinzuweisen. Danke für die Zusendung dieses Schweizer Falls.
Und zum Abschluss der Hinweis auf ein neues Recherchebüro aus London, das sich ausschließlich mit der größer werdenden Wasserkrise befasst. Die beteiligten Journalist*innen haben in den vergangenen Jahren große Skandale im Guardian, der BBC oder The Intercept aufgedeckt, über Abwasserverklappung in Flüssen, über die Ewigkeitschemikalie PFAS im Trinkwasser, über sinkende Wasserressourcen. Nun haben sie „Watershed Investigations“ gegründet, ein gemeinnütziges Recherchebüro mit sehr klarem Fokus. Hier geht’s zu Webseite und Newsletter.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel