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Belarus soll „Heim in Putins Reich“
#13 – Heute außerdem mit: toten Journalistinnen, spendablen Richterinnen, einem ambitionierten Studenten, gefährlichen Zügen, Julian Reichelt und Googles Anzeigen-Betrug
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Übermorgen erscheint eine größere Recherche von mir und meinen Kolleg*innen bei NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung – auch deshalb bin ich zuletzt nicht dazu gekommen, diesen Newsletter regelmäßiger zu schreiben. Falls Ihr „Daniels Recherchebrief“ also immer schonmal weiterleiten wolltet an Freunde, Verwandte oder den Rest der Redaktion – jetzt ist die beste Gelegenheit dazu. Bevor ich zurück in die Recherche eintauche, ein kurzer Überblick über ein paar Recherchen, die mir in den vergangenen Wochen gefallen haben. Und am Ende gibt’s noch einen Hinweis auf eine Veranstaltung heute Abend.
Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR – Heim in Putins Reich
Ein geleaktes Dokument soll zeigen, wie sich der Kreml bis 2030 seinen Nachbarn Belarus einverleiben will. Putin und seine Strategen wollen das Land offenbar komplett unterwandern. Die Politik, die Wirtschaft, das Militär. Belarus soll zu einem Unionsstaat unter russischer Führung werden. Das zeigt ein 17-seitiges Papier, dass SZ, NDR und WDR gemeinsam mit einer Reihe internationaler Partner ausgewertet und heute Morgen veröffentlicht haben.
Hier geht’s zur Berichterstattung der SZ.
Hier geht’s zum Text bei der Tagesschau.
Forbidden Stories – Storykillers
Die Idee ist eine der besten, die in den vergangenen Jahren im (investigativen) Journalismus entstanden ist – wenn ein Journalist oder eine Journalistin daran gehindert wird, eine Geschichte zu veröffentlichen, sogar getötet wird, dann setzen sich Dutzende andere daran, die Recherche zu Ende zu bringen. Auch, um zu signalisieren: Es lohnt sich nicht, Journalist*innen zu töten. Es macht es nur schlimmer. Das Netzwerk „Forbidden Stories“ macht genau das seit Jahren sehr erfolgreich. Die neueste Recherche enthüllt neue Aspekte der Desinformations-Industrie.
Washington Post – An alleged $500 million Ponzi scheme preyed on Mormons. It ended with FBI gunfire.
Auch in den USA ist vor einigen Monaten ein investigativer Journalist umgebracht worden – Jeff German. Sein Arbeitgeber, das „Las Vegas Review Journal“ und die „Washington Post“ haben sich nach seinem Tod zusammen getan, haben sich die Unterlagen und Notizen auf seinem Schreibtisch vorgenommen und seine letzte, nicht beendete Recherche zu Ende gebracht.
Correctiv – An wen Richterinnen und Staatsanwälte mehr als eine Milliarde Euro verteilen
Wenn Richter oder Staatsanwälte Verfahren gegen Bußgelder einstellen, können sie frei entscheiden, an wen sie das Geld spenden. Obwohl es dabei um richtig viel Geld geht, gibt es kaum Kontrollen. Das führt immer wieder zu fragwürdigen Geldflüssen. Correctiv deckt jetzt auf, wer in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland bedacht wurde. Die Recherche zu dem Problem hatten wir damals schon vor gut acht Jahren bei Correctiv begonnen und eine erste Datenbank veröffentlicht, der neue Aufschlag ist viel größer und wunderbar über das Netzwerk von regionalen Partnermedien von Correctiv.Lokal verbreitet.
Ein Student wirft dem Präsidenten der Stanford University vor, akademische Studien gefälscht zu haben und dann dafür gesorgt zu haben, dass die Manipulation nicht öffentlich wird. Wenn ich daran zurück denke, was für lauwarme Geschichten ich damals für die Studierenden-Zeitung an der TU Dortmund geschrieben habe… Ein starkes Beispiel dafür, was alles möglich ist, auch in kleinen Medien.
Reschke Fernsehen – „Bumsen, belügen, wegwerfen“
Meine NDR-Kollegin Stefanie Dodt hat die Vorwürfe gegen Ex-BILD-Chef Julian Reichelt und den Axel-Springer-Verlag sowie dessen Vorsitzenden Mathias Döpfner noch einmal neu aufgerollt und vertieft. Das ist eine ganz starke halbe Stunde Fernsehen, die zeigt, was die neue Recherche-Show von Anja Reschke leisten kann.
The Lever – Rail Companies Blocked Safety Rules Before Ohio Derailment
In den USA ist ein Zug mit hochgiftigem Vinylchlorid entgleist, zahlreiche Menschen mussten evakuiert werden. Bahnarbeiter in den USA sagen seit Jahren, dass die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dass zu viel Personal abgebaut wurde, das keine Zeit mehr bleibt. Auch andere Sicherheitsregeln wurden zuletzt – wie in so vielen Bereichen – entschärft. Die kleine, progressive Redaktion „The Lever“ um den Journalisten David Sirota (der übrigens auch Co-Produzent des Kinofilms „Don’t Look Up“ war) hat in den vergangenen Tagen rund um das Ohio-Unglück starke Recherchen veröffentlicht.
Craig Silverman – Investigating Google’s Ad Business
Mein früherer BuzzFeed News-Kollege Craig Silverman ist nicht nur ein unglaublich netter und witziger Kollege, er ist auch einer der besten Reporter, wenn es um Betrug im Digitalen geht. Mittlerweile arbeitet er für ProPublica und hat im vergangenen Jahr einen riesigen Betrug mit Google Ads aufgedeckt. In seinem Newsletter „Digital Investigations“ erklärt er ziemlich detailliert, wie er das geschafft hat.
Zwei kurze Anmerkungen noch zu Journalismus rund um die Revolutionsbewegung im Iran. HEUTE ABEND um 20.15 Uhr veranstaltet das Netzwerk Recherche ein Gespräch mit Gilda Sahebi, moderiert von Sanaz Saleh-Ebrahimi. Ich zitiere mal meine Kolleg*innen:
Im NR-insights möchten wir mit der freien Journalistin, die im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, über die Proteste und die deutsche Berichterstattung sprechen. Wie bewertet sie als Kennerin des Landes und der Kultur die Berichte in deutschen Medien? Welche Recherche-Tipps hat sie für Kolleg:innen in Deutschland? Wie vermeidet man, auf Propaganda und Falschinformationen reinzufallen? Und was bedeutet es für ihre eigene Rolle als Journalistin, dass ihr der Gegenstand der Berichterstattung so nah ist?
Anmelden könnt Ihr Euch dafür hier.
Wer Journalismus über den Iran unterstützen will, der kann das Crowdfunding vom Iran Journal unterstützen, dem wichtigsten iranischen Exil-Medium in Deutschland. Die Redaktion braucht dringend Unterstützer, weil ihre Förderung ausgerechnet jetzt ausgelaufen ist. Auch hier ein kurzes Zitat der Kolleg*innen:
Manipulative und einseitige Berichterstattung der iranischen Staatsmedien einerseits und strenge staatliche Auflagen für ausländische Journalisten im Iran andererseits sorgen im Ausland für eine verzerrte und lückenhafte Darstellung und damit Wahrnehmung der Geschehnisse in der Islamischen Republik. Deshalb ergänzt unser Online-Magazin deutschsprachige Medien bei der Berichterstattung über den Iran. Unser Redaktionsteam besteht aus Journalistinnen und Journalisten, die langjährige Erfahrungen in der deutschen und/oder persischsprachigen Medienlandschaft haben. Unsere Informationsnetzwerke und natürlich auch die Landes- und Sprachkenntnis ermöglichen unseren Autorinnen und Autoren die dichte Beschreibung des vielschichtigen Iran-Puzzles.
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Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel