Nochmal zum Mitschreiben: Ohne Quellenschutz keine Recherche
#16 Heute außerdem mit: Pulitzer-Preisen, MeToo, Klimakrise, Justiz, Kinderarbeit, Bahn-Boni und Interessenkonflikten
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Keine Recherche ohne Quellen. Und keine Quellen ohne Quellenschutz. Das ist das ein mal eins der Recherche. Der Schutz von Informant*innen, egal welche Motive sie haben, egal wie problematisch sie sein mögen, er ist die Grundlage für alles und darf nicht verletzt werden (mit möglichen Ausnahmen nur etwa bei drohenden Kapitalverbrechen). Egal ob ich eine Information am Ende veröffentliche oder nicht, egal auf welchen Wegen sie zu mir gekommen ist: Gefährde oder verrate ich Informant*innen, zerstöre ich als Journalist meine Arbeitsgrundlage.
Wer soll noch zu mir kommen mit heiklen Informationen, wer mir Dinge anvertrauen, die ihn oder sie beruflich oder privat zerstören könnten? Als Journalist ist es meine Aufgabe, die Informationen meiner Quellen zu schützen und herauszufinden, welche Informationen ich auf welche Weise verifizieren und rechtssicher veröffentlichen kann, ohne die Quelle zu gefährden. Dabei bestimmt die Quelle, wie weit sie sich exponieren will, nicht ich als Journalist.
Diskutiert wurde in den vergangenen Wochen über Holger Friedrich und Jan Böhmermann, denen beiden – in unterschiedlichem Kontext – vorgeworfen wird, Quellen gefährdet beziehungsweise verraten zu haben. Mit Friedrich beschäftigt sich jetzt der Presserat. Ich empfehle die Texte von Georg Mascolo (zum Fall Friedrich) und Justus von Daniels (zum Fall Böhmermann).
Süddeutsche Zeitung – Bedrohung von innen
Correctiv – Böhmermann und der Quellenschutz
Pulitzer-Preis in „Investigativer Recherche“ für das Wall Street Journal
Den Pulitzer Preis für investigative Recherche hat diese Woche das Wall Street Journal gewonnen – für eine Serie von Recherchen über Mitarbeiter von Kontrollbehörden, die selbst mit Aktien der Unternehmen handeln, für die sie zuständig sind.
In Deutschland gab es mindestens bis vor drei Jahren das gleiche Problem. Nun hat zumindest die BaFin ihre Regeln verschärft, aber wie sieht es mit anderen Kontrollbehörden aus, die etwa Medizinprodukte, Autokonzerne oder andere überwachen?
Pulitzer-Preise gewonnen haben unter anderem auch Reporter*innen von AP für ihre unglaubliche Arbeit aus dem belagerten Mariupol, Eli Saslow für seine Features über Amerikaner, die mit der Pandemie, Obdachlosigkeit oder Ungleichheit kämpfen (von Saslow empfehle ich auch das wunderbare Buch „Rising Out of Hatred“) und Gimlet Media für den Podcast „Stolen“, in dem die Autorin Connie Walker die Vergangenheit ihres Vaters recherchiert und auf hunderte Missbrauchsfälle in einer kleinen kanadischen Schule stößt.
Eine der besten Recherchen über Machtmissbrauch, die ich seit langem gelesen habe, ist diese Geschichte über Sternekoch Christian Jürgens und wie er offenbar seit Jahrzehnten mit seinen Mitarbeiter*innen umgeht. Die Recherche beschreibt ein System, in dem Jürgens seine Macht in der Branche
Ebenfalls empfehlenswert für alle, die sie noch nicht gelesen haben: Die Recherche des Spiegel zum Machtmissbrauch durch Til Schweiger.
Wer mehr über journalistische Recherchen, nicht nur, aber auch zu MeToo und Machtmissbrauch erfahren möchte: Ich war diese Woche gemeinsam mit Christina Schmidt zu Gast in der Sendung „lakonisch elegant“ im Deutschlandradio Kultur. Wir haben ausführlich über Journalismus, Themen-Auswahl, Recherche und das Erzählen von Geschichten gesprochen.
Mit der Sendung „Breitband“ im Deutschlandradio Kultur habe ich zudem darüber gesprochen, warum große Recherche-Kooperationen so oft so komisch heißen, wie viel Arbeit hinter solchen Großprojekten steckt und wie sich die Recherche in den vergangenen Jahren verändert hat.
Correctiv – Wie Beamtenpensionen die Klimakrise befeuern
Zehn von 16 Bundesländer investieren mit ihren Pensionsfonds hunderte Millionen Euro in fossile Energien und befeuern damit den Klimawandel. Am schlimmsten: Sachsen-Anhalt und Bayern.
ProPublica – Clarence Thomas had a Child in Private School. Harlan Crow Paid the Tuition.
Einer der wichtigsten Richter der USA hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einem republikanischen Megaspender beeinflussen lassen. Was mit einer Recherche von ProPublica über kostenlose Luxus-Urlaube vor wenigen Wochen begann hat eine wahre Lawine von Enthüllungen ausgelöst. So hat der Megaspender und Milliardär Harlan Crow auch mehr als 100.000 Euro für Schulgeld bezahlt und Thomas’ Frau soll von einer rechten Stiftung Geld zugeschustert bekommen haben.
ZDFfrontal – Die Klimapolitik der FDP
Die FDP beschäftigt mit Steffen Hentrich einen Klimaleugner als Referenten. Hendrich sagt etwa: „So wie ich die Studien lese, werden wir selbst in den Worst-Case-Szenarien in einer Welt mit viel mehr Wohlstand leben.“ Und Hentrich war Gast bei Treffen der Hardcore-Klimaleugner wie etwa EIKE. Dieser Steffen Hentrich berät die Regierungspartei seit Jahren in Sachen Klima.
Der Spiegel – Grüße vom Gossip Girl
Franca Lehfeldt und Christian Lindner sind ein wandelnder Interessenkonflikt. Und es ist nach wie vor absurd, dass der Springer-Konzern diesen Konflikt weiter aggressiv ignoriert.
„Als Lehfeldt im August etwa vor dem Kanzleramt stand, um über die Beratungen der Länder-Gesundheitsminister zur Pandemie zu berichten, fragte ihre Kollegin im Studio, ob jetzt »’ne Menge Zoff« in der Ampel drohe. Denn Abgeordnete der FDP hätten ja gegen die neuesten Coronaschutzmaßnahmen aufbegehrt. Lehfeldt umging die Frage nach der FDP und lenkte das Gespräch auf Karl Lauterbach: »Man kann allein mal auf die Kommunikation des Bundesgesundheitsministers achten.«“
„Und der Finanzminister nutzte die Verbindungen seiner Partnerin: für den Kontakt zu einem der mächtigsten Journalisten des Landes, dem damaligen »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt. Eine Freundin von Lehfeldt war mit Reichelt liiert, und Lehfeldt soll ihr signalisiert haben, dass man sich einen engeren Kontakt zu Reichelt wünsche. Das gelang, den zweiten Weihnachtstag verbrachte der FDP-Chef mit Reichelt und seinem Vize Ronzheimer in Reichelts Wohnung. Lindner habe eine Flasche Wein und Zigarren mitgebracht, dann habe man gemeinsam philosophiert, ob die jüngst ausgestrahlte Dokumentation über »Bild« dem Blatt schade oder nutze, und wie die FDP bei der Wahl abschneiden werde. So erzählen es zumindest Reichelt und Ronzheimer herum.“
Diese Recherche des Spiegel bestätigt den problematischen Anschein und untermauert die Kritik, die Kolleg*innen und ich seit Monaten äußern.
Washington Post – The Conservative Campaign to Rewrite Child Labor Laws
In Iowa sollen 14-jährige Kinder demnächst Nachtschichten schieben dürfen. In Arkansas müssen arbeitende Kinder unter 16 nicht mehr gemeldet und ihr Alter muss nicht mehr geprüft werden. Ein konservativer Think-Tank aus Florida zersetzt Jahrzehnte alte Gesetze gegen Kinderarbeit in den USA.
Ich habe als Chefredakteur der deutschen Ausgabe fünf wundervolle Jahre bei BuzzFeed News verbracht und durfte dort mit unglaublich inspirierenden Menschen arbeiten. Die Vision, die Strukturen, die kluge und mutige Arbeit unter Ben Smith und Mark Schoofs war ihrer Zeit um Jahre voraus. Nun wurde BuzzFeed News geschlossen. Das hier ist der letzte Text, der jemals auf BuzzFeed News erscheinen wird und eine ganz wunderbare Hommage an einen besonderen Ort und eine verrückte, große Redaktion. Mit so vielen, witzigen, unglaublichen Anekdoten.
NDR/SZ – Boni für Tausende DB-Beschäftigte
Obwohl die Bahn so unpünktlich war wie lange nicht, hat sie für das vergangene Jahr mehr als 100 Millionen Euro Boni an rund 30.000 Beschäftigte ausgezahlt. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die NDR und Süddeutsche Zeitung vorliegen. Die Bahn hat Kundenzufriedenheit und Pünktlichkeit in der Berechnung der Boni einfach rausgerechnet – und konnte so fast allen die volle Erfolgsprämie zahlen.
NR Insights – Internationale Datenrecherche am Beispiel der #VulkanFiles
Am kommenden Mittwoch, 17. Mai, sprechen Lea Weinmann von der Süddeutschen Zeitung und Hannes Munzinger von Paper Trail Media über die Recherche der VulkanFiles. Wie können Dokumente verifiziert werden? Wie geht man mit riesigen Datenmengen in einer fremden Sprache um? Wie setzen die beiden Open Source Intelligence ein? Wer mehr über die VulkanFiles erfahren möchte, kann direkt mit Lea und Hannes darüber sprechen. Einzige Voraussetzung: Eine Mitgliedschaft beim Netzwerk Recherche.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me. Und falls Euch der Newsletter gefällt, freue ich mich sehr, wenn Ihr ihn weiterleitet oder in den sozialen Medien oder Euren WhatsApp-Gruppen empfehlt.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel
Unglaublich Klasse ! Danke für die Mühe und die Informationen .