PFAS – ein Jahrhundertgift verschmutzt ganz Europa
#14 – heute mit: #ForeverPollution -- einer internationalen Umweltrecherche von NDR, WDR, SZ und Partnermedien aus 13 Ländern.
Das Gift kann man nicht riechen, nicht schmecken, nicht sehen. Es wird für die Herstellung hunderter Produkte gebraucht - und steht im Verdacht, die Gesundheit zu schädigen. Wenn es einmal in die Umwelt gelangt, dann bleibt es dort. Womöglich für immer. Eine monatelange Recherche zeigt nun erstmals: In Deutschland sind weit mehr Orte mit den unsichtbaren Chemikalien verseucht, als bislang bekannt.
Mehr als 1500 Orte sind in Deutschland mit dem Jahrhundertgift PFAS verseucht. Das zeigt eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. PFAS-Stoffe sind chemische Verbindungen, die – wenn sie einmal in die Umwelt gelangen – dort für sehr lange Zeit nicht mehr verschwinden. Reporterinnen und Reporter haben darüber hinaus mehrere hundert Industriestandorte, Kläranlagen, Deponien und Militärgelände identifiziert, bei denen Böden und Gewässer möglicherweise ebenfalls verunreinigt sind. Die Recherche zeigt: Das Problem ist viel größer, als bisher bekannt war.
Fünf europäische Staaten, darunter auch Deutschland, haben Anfang Februar vorgeschlagen, die PFAS-Chemikalien nach einer Übergangsfrist ganz überwiegend zu verbieten. Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Die Grüne/Bündnis 90) sagt im Gespräch mit NDR, WDR und SZ, dass die ganze Stoffgruppe der PFAS grundsätzlich überprüft und die gefährlichen Stoffe verboten werden müssten, „weil wir uns nicht leisten können, sie weiter in diesem Umfang in die Umwelt zu entlassen – mit teilweise unbekannten Folgen, aber der Sicherheit, dass sie uns Jahrzehnte oder Jahrhunderte begleiten werden“.
Sogenannte PFAS, per- und polyflourierte Chemikalien, sind eine Gruppe von mindestens 10 000 künstlich hergestellter Stoffe. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und werden fast überall eingesetzt: In Regenjacken und beschichteten Pfannen, aber auch in Kettenfett, Zahnseide, Burgerpapier, Kosmetik oder Ski-Wachs. Die Stoffe kommen in der Natur eigentlich nicht vor und stehen in Verdacht, unfruchtbar zu machen, zu Leberschäden zu führen, zu Fettleibigkeit und Krebs.
Doch der Widerstand gegen ein solches Verbot dieser Substanzen ist mächtig. Fast jeder Industriezweig wäre davon betroffen. In Brüssel kämpfen deshalb mehr als 100 Organisationen, darunter gut 40 Industrieverbände und rund 30 Unternehmen, mit viel Aufwand und teils fragwürdigen Argumenten gegen das angekündigte PFAS-Verbot.
Wie die PFAS-Lobby agiert, zeigen mehrere tausend Seiten interner Unterlagen aus Brüssel und Berlin, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit 18 europäischen Partnermedien im „Forever Pollution Project“ ausgewertet haben.
Nichts hat mich in den vergangenen zehn Monaten so sehr beschäftigt, wie diese massive Umweltrecherche, die wir vor wenigen Minuten bei NDR, WDR und SZ veröffentlicht haben. Gemeinsam mit Medien in 13 europäischen Ländern – allen voran Le Monde in Frankreich – haben wir zehntausende Daten und tausende Dokumente zunächst besorgt und dann ausgewertet, analysiert und interpretiert.
Die Recherche basiert auf einer wissenschaftlichen Methode des PFAS Project Lab der Northeastern University in den USA, es ist quasi „peer-reviewed journalism“, wenn man so möchte – ergänzt um Recherchen vor Ort, um dutzende IFG-Anfragen, um eine länderübergreifende Kollaboration.
Ein zentrales Element der Recherche ist eine interaktive Karte, die wir mit den Kolleg*innen bei der Tagesschau und der Süddeutschen Zeitung gebaut haben – hier kann jede*r für seine und ihre Region schauen, wo sich PFAS im Boden und Wasser befindet. Und auch, wo PFAS im Boden und Wasser zwar noch nicht nachgewiesen wurde, wo es sich aber befinden könnte. Dafür haben wir im Team auf Basis von wissenschaftlichen Studien mehr als 1000 möglicherweise belastete Orte in Deutschland individuell angefragt und ihre Antworten in der Karte verzeichnet.
Wir werden in den kommenden Tagen in zahlreichen Texten, Filmen und Radio-Beiträgen in der ARD und bei der Süddeutschen Zeitung über die Recherche berichten. Wenn Ihr die Recherche verbreiten oder über sie diskutieren wollt, nehmt gerne das Hashtag #ForeverPollution.
Gleich zum Start möchte ich Euch folgende Veröffentlichungen ans Herz legen:
PFAS, ein Jahrhundertgift: Der Haupttext in der SZ mit interaktiver Karte
Wo PFAS überall Deutschland verschmutzt: Der Haupttext bei Tagesschau.de mit interaktiver Karte
Lobbyismus-Text bei der SZ: „Sie können sich schonmal von ihrem Mobiltelefon verabschieden“
Lobbyismus-Text bei der Tagesschau: Wie Bayer, BASF & Co für PFAS lobbyieren
Zur speziellen Lobby in Deutschland: „Die dunkle Seite der Wärmepumpe“
Hier gibt’s ein FAQ bei der SZ, in dem alle Fragen rund um PFAS beantwortet werden.
In den kommenden Stunden und Tagen folgen noch weitere Texte bei Süddeutscher Zeitung und auf Tagesschau.de, zahlreiche Radiobeiträge und aktuelle Stücke in der ARD – sowie heute Abend um 21.45 Uhr gleich zwei Filme im ARD-Magazin Panorama.
Das Projekt hat nur deshalb so gut funktioniert, weil wir mit insgesamt 18 Medien aus 13 Ländern gemeinsam gearbeitet haben. In ganz Europa haben wir 100 Datensets gesammelt, haben an 17.000 Orten PFAS-Verschmutzung gefunden, haben mehr als 20.000 weitere Orte identifiziert, an denen möglicherweise noch weitere Verschmutzung vorkommen könnte.
Alle internationalen Beiträge findet Ihr auf der Projektwebseite foreverpollution.eu. Und eine große Europakarte mit allen ausgewerteten PFAS-Verschmutzungen in ganz Europa hat Le Monde (auf Englisch) veröffentlicht.
Das „Forever Pollution Project“ wurde finanziell unterstützt vom Journalismfund.eu und von Investigative Journalism for Europe (IJ4EU) und umgesetzt mit Hilfe von Arena for Journalism in Europe und deren Food & Water-Netzwerk. Neben SZ, NDR und WDR waren die folgenden Medien beteiligt: Le Monde (Frankreich), Knack (Belgien), Denik Referendum (Tschechien), Politiken (Dänemark), YLE (Finnland), Reporters United (Griechenland), Radar und Le Scienze (Italien), Radio Latvia (Lettland), The Investigative Desk / NRC (Niederlande), SRF (Schweiz), Datadista (Spanien), Watershed Investigations / The Guardian (Großbritannien).
Danke an Stéphane Horel und das internationale Team, dass bei der Dataharvest im Mai 2022 in Mechelen mit der Projektidee auf mich zugekommen ist. Danke an Sarah Pilz, die als freie Journalistin die Veröffentlichungen in Deutschland vorangetragen hat wie keine Zweite.
Danke an die großartigen Teams bei NDR, WDR und SZ, die diese Recherche möglich gemacht haben, von Podcast über Karte bis hin zu Social Media. Danke an die Reporter*innen selbst, an Manuel Bewarder, Lea Busch, Johannes Edelhoff, Catharina Felke, Andrea Hoferichter, Sarah Pilz, Isabel Schneider, Nadja Tausche, Ralf Wiegand und Sarah Wippermann.
Und Danke an all diejenigen natürlich insbesondere, die ihr Wissen mit uns geteilt haben – seien es Daten, Dokumente oder einfach Hintergrundinformationen, Zugänge oder Beschreibungen ihrer Situationen und Probleme vor ORt. Das war ein langer Ritt und ich freue mich, dass wir so viel aus dieser Recherche herausholen konnten.
Dieser Newsletter macht jetzt für rund zwei Monate Pause, weil ich selbst ab kommender Woche für rund zwei Monate Pause mache – danach geht es weiter mit spannenden Recherchen. Falls Ihr in dieser Zeit wichtige Projekte seht, die ich mir für den Recherchebrief ansehen sollte, kommentiert sie gerne unter diesen Beitrag.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel