So foltert das iranische Regime
#12 – Heute mit: NDRWDRSZ zeigen umfassend, wie brutal der Iran derzeit gegen die eigene Bevölkerung vorgeht
Laleh Salawi kommt gerade mit ihrer Freundin vom Gitarrenunterricht, als die Jugendliche eine Gruppe Frauen sieht, die gegen das iranische Regime protestieren. Die beiden Mädchen singen mit, bevor plötzlich Sicherheitskräfte auftauchen, sie umzingeln und mitnehmen. Laleh muss ihr Handy abgeben, bekommt die Augen verbunden – und wird vier Stunden später schwer traumatisiert sein.
So erzählt es Laleh, deren Name zu ihrem Schutz geändert wurde, wenige Wochen später im Gespräch mit NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Auf der Polizeistation habe sie zunächst erlebt, wie auch Jungs in den Verhörraum gebracht worden sein. Die Jungs seien auf den Boden gelegt und geschlagen worden. Danach seien Laleh und ihre Freundin dran gewesen. Mehrere Männer, vermutet Laleh später, sollen auf sie eingetreten und sie mit Elektroschockern verletzt haben. Wenig später sei ihr komplettes rechtes Bein blau angelaufen gewesen.
Im Verhör sei ihr gedroht worden, dass sie vom Chef geschlagen werde, wenn sie lüge. In der Nacht zuvor habe sie einige Flugblätter vorbereitet, um Menschen zum Protest zu bewegen. Eine Hand voll Zettel, habe sie im Gefängnis noch in ihrer Tasche gehabt. In einem unbeobachteten Moment will Laleh sie schnell aufgegessen haben.
„Nach dem Verhör saßen wir da und sie haben hinter unserem Rücken mit Elektroschockern hantiert, damit wir Angst bekommen“, sagt sie im Gespräch mit den Reportern. „Dabei haben sie gelacht.“
Mitten in der Nacht hätten Laleh und ihre Freundin die Polizeistation wieder verlassen können. Seitdem habe sie keine Gitarre mehr angefasst, sie sei in der Schule schlechter geworden. „In der ersten Woche hat sie an jedem Tag geweint – immer zu der Uhrzeit, zu der sie sie verhaftet haben“, sagt ihr Vater.
Trotzdem, sagt Laleh Salawi, werde sie weiter protestieren gehen, falls die Straßen wieder voll werden sollten. „Weil wir eine Generation sind, die Freiheit will. So mutig wie wir sind, war keine Generation vor uns.“
Wie mit Laleh Salawi, haben meine Kolleg*innen in den vergangenen Wochen mit mehr als einem Dutzend Iranern gesprochen, die seit Beginn der Proteste verhaftet wurden. Viele von ihnen berichten von noch viel heftigeren Misshandlungen. Alle Betroffenen sind inzwischen — oft gegen hohe Kautionen oder auf Bewährung — wieder freigelassen worden, fast alle sind bis heute im Iran.
Wir haben außerdem einen geflohenen iranischen Gefängniswärter getroffen. Dieser hat bis vor wenigen Wochen in einem Gefängnis gearbeitet, in dem Demonstranten festgehalten wurden. Er bestätigt die Folter-Vorwürfe.
Die Recherche ist der wohl umfassendste Einblick in das brutale Vorgehen des iranischen Regimes seit dem Beginn der Proteste im September vergangenen Jahres.
Seit Mitte Dezember recherchieren wir bei NDR, WDR und SZ in einem großen Team an dieser Geschichte zur Folter in iranischen Gefängnissen, seit wenigen Minuten ist sie online verfügbar.
Hier findet Ihr die wichtigsten Ergebnisse:
Ein nachrichtlicher Text auf Tagesschau.de: „Wie das Regime Demonstranten foltert“
Die Seite 3 in der Süddeutschen Zeitung, in einem digitalen Storytelling ganz wunderbar aufbereitet: „Der Folterstaat“
Ein ausführliches Gespräch mit mir im neuen Tagesschau-Podcast 11KM: „Irans Gefängnisse: Quälen gegen den Protest“
Und die schon gestern veröffentlichte, großartige Folge von STRG_F, in der NDR-Reporter Armin Ghassim den Fall des Rappers Toomaj aufarbeitet, die Geschichte seiner eigenen Familie erzählt und auch einen Teil unserer Recherche verarbeitet.
In den nächsten Stunden und Tagen werden wir im Radio, auf Social Media und im TV weiter über diese Recherchen berichten.
In dieser Recherche steckt sehr viel Herzblut und Arbeit, insbesondere von unseren beiden Farsi sprechenden Kolleg*innen Faranak Rafiei und Bamdad Esmaili. Faranak und Bamdad haben in den vergangenen Wochen unzählige Telefonate geführt und Menschen überzeugt, mit uns zu sprechen, uns zu treffen, uns Belege zu senden. Ohne sie wäre diese Recherche niemals möglich gewesen. Ganz vielen Dank dafür!
Danke aber auch an die recherchierenden Kolleg*innen Kristiana Ludwig, Nadja Tausche, Ben Heubl, Lea Weinmann, Carim Soliman, Dunja Ramadan und Reiko Pinkert – sowie an die Menschen, die uns in den vergangenen Tagen bei der Produktion und Verbreitung der Recherche auf so vielen unterschiedlichen Kanälen unterstützt haben, allen voran Lena Kampf und Sebastian Pittelkow, die das in der SZ und im NDR als betreuende Redakteur*innen begleitet haben.
Wie ihr merkt, liegt mir viel an dieser Recherche. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn Ihr unsere Arbeit mit anderen Menschen teilen würdet, egal ob privat oder über Social Media.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel