So schlimm sind Gasöfen für die Gesundheit
#10 – Heute außerdem mit: falschen Klima-Versprechen, gefangenen Flüchtlingen, Shortsellern und Covid-Impfpatenten
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich einen Tweet über Gasöfen gesehen und gedacht: Das wäre doch mal eine größere Recherche wert.


Vor wenigen Tagen ist nun eine neue Studie erschienen, die nahe legt, dass allein in den USA 650.000 Kinder aufgrund von Gasöfen Asthma bekommen haben. Das Thema ist in amerikanischen Medien dementsprechend explodiert.
In den USA ist zuletzt auch immer wieder darüber berichtet worden, mit welch problematischen Methoden die Gasindustrie versucht, die Umstellung auf Elektroöfen zu verhindern. So hat die Gasindustrie etwa versucht, Elektroöfen als diskriminierend gegen Minderheiten darzustellen (ja, ernsthaft).
In Deutschland habe ich dagegen noch immer recht wenig dazu gesehen.
Ich habe die neuen Gas-Nachrichten vor allem über Michael Thomas wahrgenommen, einen freien Klimajournalisten, der mit „Distilled“ seit Mitte Oktober einen lesenswerten Newsletter über die Klimakrise schreibt.
Aktuell hat er recherchiert, wie die Propangas-Lobby mehrere Millionen Euro in eine Kampagne investiert hat, die suggeriert, dass fossiles Propangas gut für die Umwelt sei. Zuvor hat er unter anderem in 40 Anti-Klimaschutz-Gruppen auf Facebook mitgelesen oder einen Mann ausfindig gemacht, der tausenden Menschen beibringt, neue Projekte für erneuerbare Energien zu blockieren.
Auch in Deutschland sind in den vergangenen Tagen zwei starke Klima-Recherchen erschienen, beide in der Zeit.
Die Zeit – Grün getarnt
Zahlreiche große Konzerne haben offenbar gefälschte Zertifikate genutzt, um ihre CO2-Bilanz aufzupolieren – darunter Netflix, Shell, Disney und Boeing, aber auch deutsche Unternehmen wie SAP, Bayer, VW, Audi, die Allianz, Kühne + Nagel, dm, Zalando oder Rewe. Die Zeit hat zusammen mit dem Guardian und dem Londoner Reporterpool SourceMaterial das Geschäft der Firma Verra auseinander genommen. Das ist eine Agentur in den USA, die Waldschutzprojekte verifiziert, mit denen Firmen ihre Klima-Emissionen ausgleichen können. Der Auswertung zufolge sind offenbar 90 Prozent der untersuchten Zertifikate Schrott.
Viele Firmen nutzen solche Zertifikate auf ihrem Weg zu einer angeblichen Klima-Neutralität. Ein Ablasshandel: Sie wollen sich grün darstellen, ohne ihre Emissionen wirklich zu reduzieren. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Recherchen, die Indizien gesammelt haben für Betrug in diesem Geschäft. Die Zeit-Recherche legt Nahe, dass es mehr Betrug als echten CO2-Ausgleich geben könnte.
„Denn jedes Mal, wenn sich ein Unternehmen mit einem Schrottzertifikat freigekauft hat, gab es keinen Ausgleich. Im Gegenteil: Teilweise stiegen die Emissionen der Unternehmen sogar. Weil ein Zertifikat auch ein Freifahrtschein sein kann, mehr auszustoßen als zuvor. Und so kommt es, dass eine misslungene Kompensation nicht nur eine verpasste Chance ist, das Klima zu retten, sondern das Klimaproblem sogar noch verschärfen kann.“
Das Stück ist ausführlich, es ist gut geschrieben und es erklärt – unter anderem – wie diese Bullshit-Branche („Wir schützen bestehende Wälder und dürfen dafür CO2 ausstoßen.“) entstehen konnte: Obwohl sich Staaten und Umweltschützer dagegen entschieden, starteten große Unternehmen Verra. Weil es für sie eine extrem einfache Lösung war, sich als klimaneutral grünzuwaschen. Und: Verra könnte in Zukunft noch viel mächtiger werden – aber lest die Geschichte lieber selbst, ich möchte nicht alles spoilern.
Die Zeit – Kohleausstieg: RWE will offenbar auch nach 2030 Kohle verfeuern
Der Abriss von und das Abbagern unter Lützerath war von der schwarz-grünen Landesregierung in NRW immer mit dem Deal verteidigt worden, dass dafür der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werde und so insgesamt weniger Kohle verbrannt wird. Annika Joeres berichtet nun in der Zeit, dass RWE offenbar mit 50 Millionen Tonnen Braunkohle-Reserve plant – und somit auch über 2030 hinaus Kohle verfeuern würde.
WDR – Angekettet übers Meer: Geheime Gefängnisse auf Fähren
Ein schmaler Metallschacht, nicht mehr benutzte Toilettenräume, angekettet an einem Regal unter Deck: Der WDR hat mit internationalen Partnermedien nachgewiesen, unter welch menschenunwürdigen Bedingungen Flüchtlinge offenbar von Italien nach Griechenland zurückgepusht werden.
The Intercept – DuPont has Spread its Pollution Around the World. Now it Wants to Filter Your Contaminated Drinking Water.
Die Überschrift erzählt eigentlich schon alles: Der Chemieriese DuPont hat über Jahrzehnte die Chemikalie PFAS hergestellt, eine vermutlich krebserregende Substanz, die für Teflon-Pfannen, Zahnseide, wasserabweisende Jacken und vieles mehr verwendet wird. Eigentlich kommt die Stoffgruppe der PFAS nicht in der Umwelt vor, doch mittlerweile findet sich die menschengemachte Chemikalie überall, selbst im Regenwasser. DuPont baut nun in Saudi-Arabien eine Fabrik für Filter, die PFAS aus der Umwelt entfernen sollen.
Geschrieben ist die kurze Geschichte von Sharon Lerner, einer der wie ich finde besten Umweltjournalistinnen derzeit und seit Kurzem von The Intercept zum Recherchebüro ProPublica gewechselt. Wer mehr über PFAS wissen will, dem empfehle ich diese tolle, halbstündige Doku meiner NDR-Kolleg*innen Lea Busch und Johannes Edelhoff.
The Intercept – Covid19-Drugmakers Pressured Twitter to Censor Activists Pushing for Generic Vaccine
Schon wenige Wochen nach Beginn der Corona-Pandemie starteten die Diskussionen über die Patente auf den damals begehrtesten Impfstoff der Welt. Während Firmen wie Biontech und Moderna darauf bestanden, mit ihren Erfindungen Dutzende Milliarden zu machen, gab es von Aktivisten und Wissenschaftlern viele gute Gründe, den Patentschutz bei solch wichtigen Medikamenten einzuschränken. Ein zentrales Interview aus dem Frühjahr 2020 findet sich zum Beispiel hier im SZ-Magazin.
Die Impfstoffhersteller kämpften in den vergangenen Jahren offenbar an allen Fronten, um ihre Patente zu sichern. Nicht nur lobbyierten sie Politiker wie Angela Merkel (hier eine schöne Recherche von Abgeordnetenwatch aus dem September), sondern setzten auch Twitter unter Druck, damit Aktivisten ihre Kampagnen #PeoplesVaccine und #JoinCTAP nicht zu sehr auf der Plattform verbreiten können, wie The Intercept berichtet.
So viel Lobbying gegen die Patentfreigabe, da würde man doch gerne mal wissen, wie teuer die Corona-Impfungen wirklich waren und wie die Verträge zwischen den Herstellern und den Ländern genau aussehen. Leider sind diese Informationen bis heute sowohl in Deutschland, als auch in quasi allen anderen Ländern unter Verschluss.
Journalismfund – Investigative Journalism as a Gamechanger in Europe
Die Organisation Journalismfund fördert jedes Jahr dutzende Recherchen mit mehreren Millionen Euro. Sie hat jetzt fünf Recherchen herausgesucht, die Impact hatten und zu Veränderungen beigetragen haben. Es geht unter anderem um eine französische Ölfirma; um Torfabbau in Irland, um belarussische Oligarchen; um Asbest-Todesfälle; um Kriegsverbrechen; um die Mafia und Korruption bei der Biomasse-Gewinnung und um gefälschte Altersangaben bei Portwein.
Hindenburg Research – Adani Group: How The World’s 3rd Richest Man Is Pulling The Largest Con In Corporate History
Seit dem Buch „The Big Short“ von Michael Lewis bin ich fasziniert von Short Sellern. Rechercheure, die versuchen, Firmen zu finden, die am Aktienmarkt überbewertet sind. Weil ihr Produkt schlechter ist als viele denken. Weil sie manipulieren. Weil sie betrügen. Und dann darauf wetten, dass die Aktienkurse fallen.
Manche von ihnen arbeiten ethisch sauber, recherchieren gut, sorgen dafür, dass große Skandale auffliegen. Auch bei der Aufdeckung des Wirecard-Skandals spielten Shortseller eine wichtige Rolle. Anderseits können Shortseller auch selbst die Kurse manipulieren, indem sie Gerüchte verbreiten, um die Aktienkurse stürzen zu lassen – und damit Kasse zu machen.
„Hindenburg Research“ ist eine kleine Shortseller-Firma, die in den vergangenen zwei Jahren zur Adani-Group recherchiert hat, einem indischen Minen- und Ölkonzern, dessen Chef der drittreichste Mann der Welt ist. Die Shortseller von „Hindenburg Research“ behaupten, dass er mit seinen Firmen seit Jahrzehnten betrügt, um Aktienpreise zu manipulieren. In einem ausführlichen Bericht legen sie Methoden und Indizien offen.
Noch zwei Extra-Hinweise, die keine Recherche-Empfehlung sind:
Eine Einladung zu einem kostenfreien Webinar, bei dem Kollegen gemeinsam mit mir ein wenig erzählen: Diesen Donnerstag reden wir um 12 Uhr über unsere Farmsubsidy-Recherche. Wie sammelt und analysiert man Daten über 400 Milliarden Euro Subventionen? Wie findet man darin konkrete Geschichten? Was könnt Ihr mit diesen jetzt öffentlichen Daten noch alles anstellen? Unter diesem Link findet das Webinar am Donnerstag statt.
Noch ein Tipp für alle, die daran interessiert sind, selbst zu recherchieren: Bis zum 31. Januar könnt Ihr noch Eure Vorschläge für die Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche einreichen, dessen Vorsitzender ich bin. Jedes Jahr richten wir die größte und wie ich – wenig überraschend – finde beste Journalist*innen-Konferenz im deutschsprachigen Raum aus. Wir reden in Workshops, auf Panels und in Diskussionsrunden über konkrete Recherchen und Strukturen der (investigativen) Recherche. Wir lernen voneinander und diskutieren aktuelle Fragen und Probleme. Die Konferenz findet in diesem Jahr am 16./17. Juni in Hamburg beim NDR steht. Hier geht's direkt zum Call for Papers, der noch bis zum 31. Januar läuft.
Wer selbst keine Ideen einbringen möchte, aber trotzdem etwas über Recherche lernen mag, kann einfach so dabei sein. Tickets gibt es ab sofort. (Pro-Tipp: Wer vorher noch Mitglied beim Netzwerk Recherche wird, zahlt für ein Jahr Mitgliedschaft UND Mitglieder-Ticket weniger, als für ein normales Ticket.)
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel