Starke Recherchen zu Klima, Amazon, Polizei und zur AP
#2 – Heute außerdem mit: zwei Podcast-Tipps zu Internet und Rassismus
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Bevor ich vergangene Woche diesen Newsletter gestartet habe, war ich mir nicht sicher, ob ich genug Recherchen finde für regelmäßige Ausgaben. Jetzt sitze ich schon seit Tagen auf einem Haufen guter Stücke und hätte am liebsten gleich am Montag die nächste Ausgabe geschrieben. Es gibt einfach so verdammt viele gute Recherchen in diesem Internet.
Für alle, die neu dabei sind: Ich werde hier in Zukunft in (einigermaßen) regelmäßigen Abständen gute Recherchen empfehlen. Und werde, wenn ich selbst an Recherchen beteiligt war, diese — quasi als Sonderausgabe des Recherchebriefs — ebenfalls hier an Euch senden. Ich freue mich, dass bereits so viele Menschen dabei sind.
Und jetzt: zu den Recherchen.
Mich haben in den vergangenen Tagen vor allem zwei Dinge beschäftigt. Die Revolution im Iran. Und die völlig unzureichenden Maßnahmen gegen die Klimakrise und die gescheiterte Konferenz in Ägypten. Zu den Ereignissen im Iran sende ich Euch in wenigen Tagen einen gesonderten Recherchebrief (falls Ihr gute Recherchen zum Iran gesehen habt, schickt sie mir gern!). Mit der Klimakrise starten wir heute.
HEATED — How fossil fuel influence choked climate talks
In ihrem Klima-Newsletter „Heated“ nimmt die US-Journalistin Emily Atkins seit Jahren aktuelle Entwicklungen der Klimakrise auseinander. Diese Woche hat sie detailliert zusammengetragen, wie stark der Einfluss der Öl- und Gaslobby auf die Verhandlungen in Ägypten war. So waren offenbar 635 Lobbyisten der fossilen Energieunternehmen vor Ort. „Heated“ ist für mich einer der interessantesten Klima-Newsletter.
Correctiv — Diese Unternehmen dürfen Wasser auf Jahrzehnte entnehmen
Wer entnimmt in Deutschland wie viel Grundwasser? Rund die Hälfte des Wassers wird von der Industrie entnommen. Einige der größten Wassernutzer sind die Kohlekonzerne Leag und RWE, aber auch Bayer oder die Würstchen-Firma Böklunder sind dabei. Über Monate hat sich Correctiv mit allen 16 Bundesländern um diese Daten gestritten, in Sachsen-Anhalt klagt das Recherchebüro aktuell noch auf Herausgabe. Ein Problem: Viele Unternehmen haben noch für Jahrzehnte das Recht, viel Wasser zu entnehmen, obwohl sich die Klimakrise in 20 oder 30 Jahren deutlich verschärft haben wird.
NDR — Versalzen: Abwasser eines Erdgasunternehmens bedroht Flüsse
Wie konkret die Klimakrise uns schon jetzt an allen Ecken und Ende beeinflusst, zeigt eine neue Recherche meiner NDR-Kollegin Alexa Höber. Einige Flüsse in Deutschland sind versalzen. Das liegt auch daran, dass zum Beispiel Erdgas-Firmen wie Wintershall DEA hunderte Tonnen Salz in Flüsse und Bäche einleiten. Das Salz wird in Klärwerken nicht herausgefiltert. Gleichzeitig gibt es offenbar viel zu hohe Grenzwerte für die Einleitung. Und weil – Stichwort Klimakrise – immer weniger Wasser in den Flüssen fließt, hat das Salz einen noch größeren Effekt auf den Zustand der Flüsse.
CORRECTIV.Lokal — Die Maschine Amazon
In einer umfangreichen Recherchen hat CORRECTIV.Lokal gemeinsam mit zahlreichen Lokalredaktionen mehr als 100 Beschäftigte von Amazon gesprochen, zahlreiche Unterlagen eingesehen sowie Landesdatenschutzbeauftragte und Arbeitsschutzbehörden angeschrieben. Es entsteht das vielleicht kompletteste Bild der Amazon-Maschine in Deutschland – und vermutlich das mit den schönsten Grafiken. Besonders spannend fand ich den Blick auf die Lkw-Fahrer, die Pakete zwischen Logistik-Zentren und der Auslieferung vor Ort transportieren. Sie sind häufig in Subunternehmen beschäftigt, werden minutiös von der App „Amazon-Relay“ kontrolliert, haben teils wegen Kettenverträgen keinen Urlaub und kaum Pausen.
„[In der App] werden zum Beispiel als Ankunftsziele folgende Amazon-Standorte genannt:
Kurz vor 2 Uhr nachts in einem Amazon-Lager in Niedersachsen, kurz nach 6 Uhr in einem weiteren Lager in Norddeutschland, nach 9 Uhr dann am Niederrhein. Dann beginnt eine längere Pause, bevor am späten Abend die nächsten Aufträge folgen.
Häufig sind die Touren nachts. Wenn Bestellungen innerhalb eines Tages zu Hause beim Kunden ankommen sollen, ist das anders kaum möglich.“
Süddeutsche Zeitung — Tödlicher Einsatz
Seit 2010 haben Polizisten in Deutschland mindestens 133 Menschen erschossen. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung war wohl jedes zweite Opfer in einer psychischen Notsituation. Wie Mouhamed Dramé, der im August in Dortmund von der Polizei erschossen wurde, obwohl er keine Gefahr für die Beamten darstellte. Die Süddeutsche Zeitung hat neben den strukturellen Problemen auch neue Details zum Tod von Dramé recherchiert.
Semafor — AP fired a reporter after a dangerous blunder. Slack messages reveal a chaotic process.
Diese Eil-Nachricht der Nachrichtenagentur AP hat die Welt erschreckt: Eine russische Rakete soll zwei Menschen in Polen getötet haben. Die Meldung basierte auf der Quelle eines AP-Reporters, der kurz darauf von der Agentur gefeuert wurde – und über den seine Kolleg*innen im Anschluss auch noch öffentlich schlecht sprachen. Semafor zeigt nun anhand interner Slack-Nachrichten, dass es überhaupt nicht an Reporter Jim LaPorta lag, dass diese falsche Nachricht verschickt wurde, sondern dass es ein redaktioneller Fehler war. Und LaPorta nur ein Bauernopfer ist.
Für alle, die lieber hören, habe ich noch zwei Podcast-Empfehlung.
Cui Bono 2 — Wer hat Angst vorm Drachenlord?
Die erste Staffel von Cui Bono war der wohl erfolgreichste deutsche Podcast überhaupt. Host Khesrau Behroz erkundete mit seinem Team das Leben von Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. In der zweiten Staffel geht es um den als „Drachenlord“ bekannt gewordenen Rainer Winkler. Und den größten Fall von Internet-Mobbing, den es bisher in Deutschland gab. Die ersten Folgen sind gewohnt stark erzählt und machen Lust auf mehr.
WDR 5 — Der Schuss von Porz – ein Politiker drückt ab
Diese Podcast-Serie ist schon ein wenig älter, aber sie ist eine so schön und so intensiv erzählte Dokumentation, dass ich sie Euch gerne noch empfehlen möchte. Es geht um den rassistischen CDU-Politiker Hans-Josef Bähner, der auf junge Männer in Köln-Porz schoss. Und vor allem über die jungen Männer, denen dieser Podcast sehr nah kommt. Ein True Crime-Format aus Opfer-Perspektive, das zurecht für den Reporter-Preis nominiert worden ist.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel