Wir recherchieren zu Pflegebetrug – könnt Ihr uns helfen?
"Help Us Investigate" – für weitere Veröffentlichungen in den kommenden Monaten
In diesem Newsletter möchte ich gerne etwas versuchen, was investigative Journalist*innen so gut wie nie machen: Ich möchte Euch verraten, an was wir die nächsten Monate recherchieren werden.
Aber zunächst, damit ihr meine Motivation dahinter versteht, möchte ich Euch von einem kleinen Trauma von mir erzählen. Von einer Recherche, die ich zu lange geheim gehalten habe. Um genau zu sein: Vier Jahre zu lang.
Vor etwa zehn Jahren – damals war ich noch Reporter beim gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv – habe ich begonnen, zum Thema Berufskrankheiten zu recherchieren. Ich habe Menschen getroffen, Daten gesammelt, Geschichten notiert und aufgenommen. Ich habe vor mich hinrecherchiert, habe Correctiv verlassen, bin bei BuzzFeed News Deutschland Chefredakteur geworden und habe meine Recherche mitgenommen. Gemeinsam mit meiner Frau Sanaz Saleh-Ebrahimi und mit der freien Journalistin Bettina Dlubek habe ich immer dann weiter daran gearbeitet, wenn ich neben meinen Aufgaben als Chefredakteur Zeit hatte. Insgesamt habe ich rund vier Jahre mit dem Thema Berufskrankheiten verbracht. Am Ende haben wir ein gutes Paket abgeliefert, haben ein paar starke Texte veröffentlicht, einen mehrteiligen Podcast, sogar eine halbstündige ZDF-Doku.
Trotzdem habe ich die lange Recherche bereut: Denn nach der Veröffentlichung haben sich Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Menschen bei mir gemeldet. Die Fallbeispiele türmten sich bei mir, zahlreiche Quellen teilten ihre Informationen – aber ich hatte einen Großteil meines Pulvers längst verschossen. Der große Aufschlag war durch, für Folgegeschichten hatte ich kaum Zeit und nur wenig Kraft. Warum, habe ich mich damals gefragt, habe ich vier Jahre lang für mich behalten, dass ich zu diesem Thema recherchiere? In diesen vier Jahren wussten ausschließlich diejenigen Personen von meiner Recherche, die ich aktiv darauf angesprochen habe. Das waren vielleicht hundert, zweihundert Menschen. Wie mühsam! Warum habe ich nicht vorher darüber öffentlich gesprochen und Menschen gefragt, mit ihren Informationen auf mich zuzukommen? Wie viel einfacher, schneller, fokussierter, besser wäre meine Recherche geworden, hätten sich diese Menschen mit ihren Erfahrungen, ihrem Wissen, ihren Dokumenten schon vor Monaten oder Jahren an mich wenden können?
Viele investigative Journalist*innen machen ein großes Geheimnis daraus, an was sie gerade recherchieren. Manchmal ist das nachvollziehbar und wichtig: Wenn es um sehr konkrete Geschichten geht, in denen Quellen gefährdet oder entscheidende Dokumente vernichtet werden könnten etwa. Oft ist aber das Gegenteil der Fall: Die Heimlichkeit schadet der Recherche und macht uns Reporter*innen (manchmal) zu unglücklichen Eigenbrötlern. Offen zu recherchieren – zumindest soweit möglich – ist dagegen auch eine Chance, Vertrauen zurück zu gewinnen. Zu zeigen: Mir liegt etwas an diesem Thema, ich hänge mich rein, ich will lernen, lasst uns diskutieren.
Ich möchte deshalb hier etwas machen, das so gut wie nie getan wird: Ich möchte Euch Einblick geben in meine Arbeit. Beziehungsweise in eine meiner aktuellen Recherchen. Als Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung habe ich zwei zentrale Aufgaben: Zum einen koordiniere ich die Rechercheteams der drei Medien. Ich versuche einen Überblick über die laufende Arbeit zu behalten, stoße neue Themen an, bringe Menschen zusammen, kümmere mich um den Austausch und versuche auch mal, aufkommende Konflikte zu lösen. Zum anderen recherchiere ich zu einigen Themen selbst.
Meist habe ich etwa drei bis vier Recherchen parallel auf dem Tisch. Einige sind noch sehr am Anfang oder betreffen sehr spezielle Bereiche, so dass ich über diese Recherchen noch nicht öffentlich sprechen kann. Manche Recherchen jedoch sind zumindest vom Grundthema her so breit, dass ich kein Problem darin sehe, offen darüber zu sprechen. In die aufwändigste dieser Recherchen möchte ich Euch heute einen Einblick geben: Unsere Recherchen zum milliardenschweren Betrug mit der (ambulanten) Altenpflege.
Vor einigen Jahren, in den Jahren 2016 und 2017, gab es viele Diskussionen über organisierte Kriminalität in der Pflege, vor allem bei ambulanten Pflegediensten. Damals berichteten zahlreiche Medien und auch die Politik und die Ermittler hatten dieses Phänomen verstärkt auf dem Schirm. Es gab einige größere Verfahren. Seitdem wurde nur wenig darüber gesprochen. Doch die Probleme in diesem Bereich, die sind nicht weg. Im Gegenteil. Und der Pflegebeitrag, der steigt weiter. Die Kosten wachsen Jahr für Jahr. Allein 2025 wird die Pflegeversicherung uns alle rund 60 Milliarden Euro kosten, mehr als doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor.
Mein Kollege Markus Grill und ich beschäftigen uns seit einigen Monaten intensiv mit dem Betrug mit der Pflege. In den vergangenen Stunden ist unser erster Beitrag dazu erschienen: Zu Betrug mit der milliardenschweren „Verhinderungspflege“. Wir haben in der Süddeutschen Zeitung berichtet, bei Tagesschau.de und im ARD-Magazin PlusMinus sowie im Radio.
Jetzt wollen wir weiter dazu recherchieren. Wir haben einige vielversprechende Informationen gesammelt, haben spannende Gespräche geführt, haben Unterlagen vorliegen. Doch statt das wir jetzt ein Jahr oder länger vor uns hin recherchieren und dann nach der Veröffentlichung ganz viele Hinweise bekommen, die wir gern zu Beginn unserer Recherche gehabt hätten, machen wir unser längerfristiges Vorhaben lieber jetzt öffentlich. Und wenden uns an Euch: Falls Ihr Hinweise habt zur Situation in der ambulanten Pflege, aktuell oder in den vergangenen Jahren, zu Betrugsmaschen oder zu anderen Problemen. Falls Ihr selbst in der ambulanten Pflege arbeitet, in Sozialämtern, bei Pflegekassen, in Ermittlungsbehörden – oder auch, falls Ihr einfach nur spannende Artikel zum Thema gelesen habt… Meldet Euch gerne bei mir oder Markus.
Mich erreicht Ihr am Besten unter daniel.drepper@proton.me oder vertraulich über die App Signal unter +4915140795370. Meinen Kollegen Markus Grill erreicht Ihr unter m.grill.fm@ndr.de.
Ich selbst werde in knapp drei Monaten ein Nieman Fellowship an der Harvard University beginnen und mit meiner Familie ein Jahr lang eine Auszeit in Boston nehmen. Markus wird jedoch weiter an dem Thema recherchieren. Und wer weiß, wie weit er kommt – vielleicht steige ich dann kommenden Sommer wieder mit ein. Informationen, die bei uns landen, gehen auf jeden Fall nicht verloren.
Wer gerne wissen möchte, wie es weitergeht, der kann gerne diesen Newsletter abonnieren oder folgt mir (LinkedIn, BlueSky, Instagram) oder Markus (LinkedIn, BlueSky, Instagram) in den sozialen Medien. Ich halte Euch auf dem Laufenden über unsere Ergebnisse.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief!
Daniel