Die Chemieindustrie macht uns offenbar dick
#15 – Heute außerdem mit: einem beeinflussten Richter, Kinderarbeit in den USA, toten Marathon-Läuferinnen, offenbar übergriffigen Männern und Waldzerstörung
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
Ich war sehr lange im Urlaub. Es war sehr schön. Und ich habe sehr viel verpasst. Trotzdem wird dieser Newsletter – in Eurem wie in meinem Interesse – keine überlange Folge, die verzweifelt versucht, alles aufzuholen, was in den vergangenen Wochen passiert ist. Stattdessen gibt’s eine kleine, aber feine Auswahl.
Obesity – Gewichtszunahme mit PFAS-Werten im Blut in Zusammenhang gebracht
Eine neue, heute morgen veröffentlichte Studie des dänischen Wissenschaftlers Philippe Grandjean und seines Teams an Unis in Dänemark, Rhode Island und Harvard legt nahe, dass erhöhte PFAS-Werte zu Fettleibigkeit beitragen. Fast 400 Probanden haben die Umweltmediziner über ein halbes Jahr untersucht. Diejenigen mit höheren PFAS-Werten im Blut haben bei gleicher Diät mehr Gewicht zugelegt. PFAS könnten, so schreibt es das Team, für die Gewichtszunahme verantwortlich sein und zur „Pandemie der Fettleibigkeit“ beitragen.
Das Problem: Wir können eine Aufnahme von PFAS kaum vermeiden, denn die Stoffe sind mittlerweile überall in der Natur: In Böden, Gewässern, Fischen. Die einzige Möglichkeit wäre, die Produktion von PFAS einzustellen. Doch dagegen wehrt sich die Industrie mit Händen und Füßen.
Was hat eine wissenschaftliche Studie in diesem Recherchebrief zu suchen, in dem ich normalerweise gute journalistische Recherchen vorstelle? Wir hatten über das Problem der Verschmutzung mit PFAS ausführlich bei NDR, WDR und SZ berichtet, kurz vor meinem Urlaub. Für die 150 seitdem neuen Abonnent*innen also hier nochmal der Hinweis auf die letzte Ausgabe des Recherchebriefs von Ende Februar.
ProPublica – Clarence Thomas and the Billionaire
Einer der wichtigsten Richter in den USA, Supreme Court Justice Clarence Thomas, soll von dem republikanischen Megaspender Harlan Crow über Jahre beeinflusst worden sein – mit luxuriösen Reisetrips und Geschenken. Die Recherche hat die USA über Tage in Atem gehalten, auch weil der vor allem konservativ besetzte, oberste Gerichtshof dort eine extreme politische Wirkmacht hat.
ProPublica hat wenige Tage später nochmal nachgelegt und aufgedeckt, dass Thomas auch Grundstücke an Crow verkauft hat, ohne dies offenzulegen (wozu er verpflichtet gewesen wäre).
Wer wissen möchte, wie ProPublica diese Geschichte recherchiert hat, kann sich hier einen Talk mit Reporter Joshua Kaplan und ProPublica-Chefredakteur Steve Engelberg anschauen. Was ich besonders spannend finde: Die Autoren haben die Geschichte mehr oder weniger aus dem Nichts aufgedeckt, ohne vorher exklusive Zugänge gehabt zu haben oder einen Whistleblower, der auf die Redaktion zugekommen wäre.
New York Times – Alone and Exploited, Migrant Children Work Brutal Jobs Across the U.S.
Verteilt über die ganzen USA arbeiten Kinder, teilweise erst zwölf Jahre alt, für große Unternehmen, in Nachtschichten, mit Überstunden, machen sich kaputt an Fließbändern. Für Zulieferer von Ben & Jerry’s Eis, Walmart, Target, Ford oder General Motors.
Hannah Dreier, eine Reporterin der New York Times, hat mit mehr als 100 Minderjährigen in über 20 US-Staaten gesprochen und diese wie ich finde unfassbare Geschichte aufgeschrieben. Die Kinder kommen als Einwanderer in die USA und werden von der zuständigen Behörde so schnell wie möglich in Pflegefamilien abgegeben. Doch offenbar werden die Familien nicht ausreichend geprüft. Und direkt nach der Abgabe in die Familien konnte die zuständige Behörde ein Drittel (!) der Kinder nicht mehr erreichen. In den vergangenen beiden Jahren soll die Behörde laut New York Times Kontakt zu 85.000 Kindern verloren haben.
Hannah Dreier hat vor wenigen Tagen nochmal nachgelegt und aufgedeckt, dass die US-Regierung über die dramatischen Zustände informiert war, sich jedoch dazu entschieden hat, nichts dagegen zu tun. Wer Hannah über ihre Arbeit sprechen hören will, kann sich hier die entsprechende „The Daily“-Episode anhören.
Ganz grundsätzlich: Hannah Dreier hat in den vergangenen Jahren für die New York Times und zuvor für ProPublica unglaubliche Arbeit abgeliefert, unter anderem zu der Gang MS-13.
Hier einige Beispiele:
How a Crackdown on MS-13 Caught Up Innocent High School Students
The New Yorker – Why Were Two Female Running Champions Killed in Kenya?
In Kenia sind innerhalb kurzer Zeit zwei Profi-Läuferinnen umgebracht worden. Der New Yorker begibt sich auf eine spannende Spurensuche. Reporterin Alexis Okeowo erklärt, warum es für Frauen in Kenia extrem schwierig und gefährlich werden kann, wenn sie mit dem Laufen Geld verdienen und ihre Partner dieses Geld (und die Laufkarriere) kontrollieren wollen.
Für alle, die nicht ohnehin schon reingehört haben – seit vorgestern sind die ersten beiden Folgen des Spotify-Podcasts über Axel Springer draußen, sechs weitere Folgen erscheinen in den kommenden drei Wochen. Eine Empfehlung für alle, die über die Reichelt-Affäre und die Döpfner-Zitate hinaus mehr über das System Bild erfahren möchten. „Was wir gefunden haben ist ein Ort, an dem Machtmissbrauch kein Versehen zu sein scheint, sondern Kalkül“, sagen die Autor*innen in ihrem Trailer. Die ersten Folgen sind vielversprechend.
Deforestation Inc – Gestohlener Wald
Der illegale Handel mit Holz ist ähnlich lukrativ wie der Drogenhandel, er ist international und das Holz aus gerodeten Regenwäldern, aus geschützten Gebieten, es landet auch in Deutschland. Gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern und organisiert durch das International Consortium of Investigative Journalists haben NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung über den Winter hinweg zur Holzmafia recherchiert und Anfang März veröffentlicht. Hier findet Ihr alle internationalen Veröffentlichungen. Hier geht’s zum mehrteiligen NDR-Podcast und hier zu einer der zentralen Recherchen in der Süddeutschen Zeitung.
NDR, SZ, Sportschau – Schwere Vorwürfe gegen deutschen Tennisfunktionär
Der vielleicht mächtigste Mann im deutschen Tennis – DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff – soll über Jahrzehnte junge Spieler sexuell belästigt haben. Über Monate haben meine Kolleg*innen vom NDR, von der SZ und von der Sportschau mit dutzenden Menschen aus dem Profitennis gesprochen. Die Geschichte zeigt einmal mehr, wie viel mehr Recherchen es zum Thema Machtmissbrauch es noch braucht. Und als jemand, der die Recherche von Anfang an mit begleitet hat, kann ich sagen: Sie zeigt auch, wie wahnsinnig schwierig es immer noch ist, in diesem Bereich zu recherchieren und etwas bis zur Veröffentlichung zu bekommen.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me. Und falls Euch der Newsletter gefällt, freue ich mich sehr, wenn Ihr ihn weiterleitet oder in den sozialen Medien oder Euren WhatsApp-Gruppen empfehlt.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel
Schoen, dass es weitergeht und easy going... Ich weiss nur zu gut wie das ist, wenn man sich wieder "einschreiben" muss um in den gewohnten Rhytmus zu kommen. Bin wirklich froh diesen Newsletter ueber die Notes entdeckt zu haben.