Milliardenverschwendung bei PCR-Tests
Eine neue Recherche von NDR, WDR und SZ – sowie der Link zu rund 1000 Seiten interner Unterlagen der Bundesregierung.
Für Sonic Healthcare war 2021 ein gutes Jahr – ein großartiges Jahr, um genau zu sein. Deutschlands selbsternannter „führender Anbieter von labordiagnostischen Leistungen“ meldete Ende Juli 2022, dass seine Umsätze deutlich gestiegen sind – um fast die Hälfte auf 1,4 Milliarden Euro. Der Gewinn, förmlich explodiert, von 82 auf 274 Millionen Euro. Den Grund für die famosen Geschäftszahlen lieferte der Gesundheitskonzern gleich mit. „Die deutliche Umsatzsteigerung“, schreibt Sonic Healthcare, „resultiert aus höheren Laborumsätzen, insbesondere im Zusammenhang mit der pandemiebedingten Covid-19 PCR Diagnostik.“ Krisengewinner nannte man so etwas früher.
Die Geschichte des Sonic Healthcare-Erfolgs beginnt schon deutlich früher, am 30. Januar 2020, um 18.14 Uhr, mit einer E-Mail. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schrieb damals an den Verband der Krankenkassen und das Gesundheitsministerium. Darin schlagen die Ärztevertreter vor, die Kosten für PCR-Tests auf das neue Corona-Virus auf 59 Euro festzulegen. Damit orientierten sie sich am Preis für einen vergleichsweise seltenen Hepatitis-Test – und nicht etwa an PCR-Tests für Influenza- oder RS-Viren. Letztere werden mit 19,90 Euro vergütet. Nur zwei Tage später, ab dem 1. Februar, zahlten die Kassen den Laboren dann die 59 Euro pro Test.
Insider der Krankenkassen berichten, dass das damals von der CDU geführte Gesundheitsministerium unter Jens Spahn Druck gemacht habe, die 59 Euro zu akzeptieren. Das Ministerium, so heißt es, habe eine schnelle Einigung gewollt, um hochwertige Corona-Tests für alle zur Verfügung zu stellen.
Die schnelle 59 Euro-Verständigung war Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zufolge nur der Auftakt zu einer bis heute andauernden, milliardenschweren Verschwendung zu Lasten von Steuerzahlern und Versicherten. Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes haben die drei Medien mehr als tausend Seiten interne Akten und E-Mails aus dem Gesundheits- und Wirtschaftsministerium erstritten. Sie haben diese zusammen mit weiteren vertraulichen Dokumenten ausgewertet, haben zahlreiche Gespräche mit Insidern geführt und reale Preise recherchiert. Die Recherchen belegen: Bei den PCR-Tests ist eine Milliardensumme verschwendet worden.
Laut Recherchen von SZ, NDR und WDR waren etwa die Einkaufspreise für die nötigen Zutaten der PCR-Tests deutlich niedriger, als die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihren Verhandlungen angegeben hatte. Was die Materialien in Wahrheit kosten, haben offenbar weder das Gesundheitsministerium noch die Krankenkassen hinreichend recherchiert.
So gelang es den großen Laboren und ihrer Lobbyorganisation „Akkreditierte Labore in der Medizin“ (ALM) seither, den Krankenkassen und der Bundesregierung überteuerte Tests zu verkaufen. Selbst Warnungen von Herstellern und Experten brachten Ministerium und Krankenkassen nicht davon ab, die überhöhten Preise weiter zu bezahlen – und bis heute etwa sechs Milliarden Euro auszugeben.
Ihr lieben Recherche-Interessierten:
In den vergangenen neun Monaten habe ich gemeinsam mit Sarah Wippermann und Markus Grill zu den Kosten von PCR-Tests in Deutschland recherchiert. Die Ergebnisse könnt Ihr seit wenigen Minuten unter anderem bei der Tagesschau, der Süddeutschen Zeitung und im neuen Tagesschau-Podcast 11KM lesen, sehen und hören. Ich bin sehr froh, dass wir die Recherche so breit in den verschiedenen Formaten veröffentlichen können. Ich finde das, was wir auf Markus Grills Initiative hin in den vergangenen Monaten herausgefunden haben — gerade auch in den Details — tatsächlich ziemlich bitter für unser Gesundheitssystem.
Hier geht’s zu den Veröffentlichungen:
SZ — Die riesige Verschwendung bei den PCR-Tests
SZ — Jens Spahn und die „Wild-West-Zustände“ (über die Spahn-Skandale in der Pandemie)
Tagesschau — Hinweise auf mögliche Milliardenverschwendung
Tagesschau — „Weder sachgerecht noch erforderlich“ (über die Lobbytätigkeit der Labormediziner)
Besonders ans Herz legen möchte ich Euch den ganz neuen, täglichen Podcast von NDR, BR und Tagesschau. Dem herausragenden „The Daily“-Podcast der New York Times nachempfunden wollen die Kolleg*innen jeden Werktag bei einem größeren Thema 20 bis 30 Minuten lang in die Tiefe gehen. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir mit unserer Recherche den Auftakt machen durften. Und es ist toll, gerade bei dieser Recherche, dass der Kollege Markus Grill etwas ausführlicher Zeit hatte, auch über die Hintergründe zu sprechen. Darüber, was günstigere PCR-Tests uns als Gesellschaft hätten helfen können. Und was grundsätzlich problematisch ist an der Kostenfestsetzung im deutschen Gesundheitssystem. Hier geht’s zum Podcast.
11KM — PCR-Tests: Wohl Milliarden zu teuer
Ein zentraler Baustein unserer Recherche waren zwei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, das jedem Menschen das Recht gibt, Unterlagen aus den Behörden einzusehen. Wir haben gleich nach meinem Start bei NDR, WDR und SZ – also Anfang April 2020 – zwei Anfragen gestellt, an das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Wir wollten alle Unterlagen haben, die mit der Vergütung von PCR-Tests zu tun haben.
Auf diese Unterlagen mussten wir mehrere Monate warten. Vom Bundesgesundheitsministerium haben wir sie erst bekommen, nachdem wir mit einer Klage gedroht hatten. Konkret hatten wir im vergangenen Sommer die Klage sogar bereits fertig formuliert und dem Ministerium als Warnung geschickt, ehe es endlich die Unterlagen bereit stellte. Aber das Streiten und Warten hat sich gelohnt. Deshalb wollen wir diese Unterlagen allen Bürger*innen zur Verfügung stellen.
Unter dem folgenden Link könnt Ihr die gut 1000 Seiten aus den beiden Ministerien selbst runterladen und lesen. Darin finden sich auch einige der Belege, die wir für unsere Veröffentlichungen genutzt haben – allerdings nicht alle, da wir darüber hinaus vertrauliche Unterlagen zugespielt bekommen und eingesehen haben, die wir nicht veröffentlichen können, ohne möglicherweise Quellen zu gefährden.
IFG-Unterlagen der PCR-Recherche von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung
Falls Ihr selbst Hinweise auf strukturellen Machtmissbrauch habt, könnt Ihr Euch gerne vertraulich bei mir melden — unter daniel.drepper@proton.me oder vertraulich über Signal unter +4915140795370.
Bald gibt’s hier die nächste reguläre Ausgabe meines Recherchebriefs. Habt Ihr in den vergangenen Tagen und Wochen gute Recherchen gesehen, die ich kennen und hier empfehlen sollte? Ich freue mich über Empfehlungen in den Kommentaren oder an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief!
Daniel
Hauptsache wir Bürger rotieren einmal im Jahr für Wochen mit peinlich genauer Steuererklärung rum, um zu merken, dass wir bald die Hälfte an Steuern abgeben dürfen...für was sehen/lesen wir ja jetzt.
Konsequenzen? Sowas gibt es in der Politik nicht....Kurzer Aufschrei, dann gehts weiter. Diäten gibts monatlich. Keine Sorgen.
Millarden Verschwendung durch guten Organisierten Loobyismus? Das bedeutet eine, maximal 2, Wochen Aufschrei in den Medien und eine "auf schärfste" Verurteilung durch die Politik. Danach geht's weiter wie immer... Konesequenzen für irgendwelche Beteiligten? Keinesfalls!