So schützen wir Menschen, die mit uns sprechen
#19 – Heute mit: Einem Blick in den Maschinenraum und ein FAQ für potentielle Quellen
Ich mache inzwischen seit rund 15 Jahren investigativen Journalismus. Diese Arbeit funktioniert nur, weil mir Menschen ihre Erlebnisse und Unterlagen anvertrauen. Die größte Herausforderung in meiner Arbeit ist es deshalb, dieses Vertrauen zu Menschen aufzubauen.
Immer wieder erkläre ich deshalb – auch während der aktuell laufenden Recherchen zu Rammstein, Till Lindemann und der Musikindustrie – in ausführlichen Gesprächen, wie meine Kolleg*innen und ich arbeiten. Und was es bedeutet, wenn sich jemand dazu entschließt, mit uns bei NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zu sprechen.
Häufig erlebe ich aber auch, dass sich Menschen erst gar nicht an uns wenden, weil sie eine falsche Vorstellung davon haben, wie wir arbeiten oder was passiert, wenn sie mit uns sprechen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einmal beschreiben, wie ein solcher Kontakt mit Menschen abläuft, die darüber nachdenken, sich uns anzuvertrauen. Und was wir tun können, um Menschen zu schützen.
Aus gegebenem Anlass deshalb hier ein kleines FAQ für den Austausch mit potentiellen Quellen im investigativen Journalismus.
Wie läuft ein erster Kontakt?
Es gibt verschiedene Wege, mich zu kontaktieren. Am sichersten ist ein Kontakt über die verschlüsselte App Signal (+4915140795370), möglich sind bei weniger heiklen Geschichten aber auch der Weg über E-Mail (daniel.drepper@proton.me) oder andere Wege wie WhatsApp oder Social Media-Kanäle. Für besonders heikle Geschichten stellen zwei meiner Arbeitgeber auch den sicheren Kommunikationsweg „Secure Drop“ zur Verfügung. Hier kannst Du Dich an meine Kolleg*innen im NDR wenden und hier an die Kolleg*innen der Süddeutschen Zeitung. Wenn die Informationen an mich persönlich gehen sollen, kannst Du das dort auch deutlich machen.
Was passiert in einem ersten Gespräch?
Wenn wir uns das erste mal sprechen, egal ob persönlich, über Video oder Telefon, geht es vor allem darum, dass wir uns gegenseitig kennenlernen. Ich erkläre gerne und ausführlich die Arbeit von meinen Kolleg*innen und mir, beschreibe unsere Abläufe und wie sich ein Kontakt zwischen uns entwickeln kann. Du kannst Fragen stellen und wir können uns über erste Informationen und das Thema austauschen. Wichtig ist: Dieses Gespräch findet vertraulich und im Hintergrund statt. Nichts aus diesem Gespräch werde ich verwenden, alles bleibt unter uns. Erst wenn wir uns kennengelernt und in Ruhe besprochen haben, können wir gemeinsam überlegen, welche Informationen in welcher Form möglicherweise durch mich verwendet werden können, so dass der von Dir gewünschte Schutz garantiert ist.
Wer entscheidet, was danach passiert?
Wir überlegen gemeinsam, ob und wenn ja wie wir weiter miteinander sprechen wollen. Wenn Du das Gefühl hast, dass Du mir vertrauen kannst und es für Dich Sinn ergibt, weiter über die Erfahrungen oder Informationen zu berichten, dann machen wir ein zweites Gespräch aus. Hier geht es weiter ins Detail, wir sprechen über Indizien und Belege, die Deine Aussagen stützen können und über weitere mögliche Zeug*innen, mit denen ich sprechen könnte. Wir überlegen, ob Du mich mit den weiteren Personen in Kontakt bringen kannst oder ob ich diese lieber ohne Einführung anrufe, um nicht zu erkennen zu geben, dass ich bereits mit Dir gesprochen habe. Schon eine Handynummer hilft mir dann weiter, denn wenn ich Menschen aus dem Nichts auf dem Handy anrufe, fragen diese oft, wo ich diese Handynummer her habe. Und wenn ich dann antworten kann: Das verrate ich Ihnen nicht, genauso wenig wie ich jemals jemand anderem verraten werde, das wir gesprochen haben – dann ist das für mich schon ein ganz wunderbarer Einstieg.
Wie stellst Du sicher, dass ich geschützt bin?
Meine Kolleg*innen und ich sprechen mit niemandem darüber, dass wir mit Dir gesprochen haben. Meine Quellen halte ich wie in Silos getrennt voneinander, so dass es keine unangenehmen Überraschungen gibt. Auch, ob und wie die Informationen genutzt werden, spreche ich konkret mit Dir ab. Bei heiklen Themen kommuniziere ich mit Dir über sichere Kanäle wie Signal. Treffen organisiere ich so, dass diese an sicheren Orten stattfinden. Dokumente kannst Du auch an mein Postfach senden (Daniel Drepper, Postfach 73 01 22, 13086 Berlin).
Wer entscheidet darüber, wie konkret über mich und meine Erfahrungen geschrieben wird?
Du als Quelle hast die Kontrolle und ich berate Dich dabei. Meine Kolleg*innen und ich habe viele Jahre Erfahrung darin, abzuschätzen, welche Art von Informationsweitergabe und Veröffentlichung welche Bedeutung hat. Wir besprechen, wie viele Menschen von bestimmten Ereignissen Bescheid wissen oder bestimmte Dokumente besitzen. Sind das Screnshots, die nur zwei Leute kennen oder gleich zwei Dutzend? Bei zwei Leuten müssen wir vorsichtig sein, bei zwei Dutzend schon weniger. Wer hatte Zugriff auf diesen bestimmten Abschlussbericht? Gibt es Möglichkeiten, den Empfängerkreis zu erweitern, bevor wir ein paar Wochen später etwas veröffentlichen, um die Anzahl theoretisch möglicher Quellen für diese Geschichte zu erhöhen? Wir sprechen auch darüber, was nach einer Veröffentlichung passieren kann, mit welchem Gegenwind Du zu rechnen hast (oder auch nicht) und wie Du Dich sinnvoller schützen oder wo Du Dir Unterstützung holen kannst.
Wann erfahren andere davon, dass wir gesprochen haben und was ist eine „Konfrontation“?
Bevor ich etwas veröffentliche, muss ich diejenigen, über die ich schreibe, zu allen Vorwürfen befragen. Das nennt man im Journalismus auch „Konfrontation“. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Bei einer Verdachtsberichterstattung zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch wird den mutmaßlichen Tätern all das vorgelegt, was später im Text behauptet wird. Sie bekommen Zeit, sich dazu zu äußern – so dass wir fair und ausgewogen berichten können und der Wahrheit möglichst nahe kommen. Bei dieser „Konfrontation“ erfährt also der mutmaßliche Täter einige Tage vor einer potentiellen Berichterstattung von den Vorwürfen und kann darauf reagieren. Bei vielen Geschichten ist diese Konfrontation für die Quellen nicht so relevant, da uns häufig viele verschiedene Menschen Informationen liefern und so ohnehin nicht klar ist, was von wem kommt. Bei MeToo-Recherchen ist es etwas komplizierter, da in diesem Fall häufig nur zwei Personen bei der Tat direkt dabei waren. Damit weiß der mutmaßliche Täter oft, wer ihm diese Vorwürfe macht. Das sprechen wir deshalb im Vorfeld detailliert durch und erklären, was das genau bedeutet und was auf Dich zukommen kann.
Bekomme ich nach einer Veröffentlichung Post von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei?
Nein – beziehungsweise: Nur dann, wenn Du Dich dazu entscheidest, mit vollem Namen an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann kann es sein, dass sich Behörden bei Dir melden, sollten sich aus der Berichterstattung Hinweise auf nicht verjährte Straftaten ergeben. Entscheidest Du Dich jedoch dafür, anonym aufzutreten, dann wird sich auch keine Behörde bei Dir melden. Wenn wir Schreiben von der Staatsanwaltschaft bekommen, in denen diese die Identität unserer Quellen anfragt, dann lehnen wir dies höflich aber bestimmt ab. Denn Quellenschutz ist die Grundlage und Voraussetzung unserer Arbeit. Was Du nach einer Veröffentlichung (oder auch davor) natürlich immer tun kannst: Dich selbst mit einer Anzeige oder als Zeugin bei der Staatsanwaltschaft melden. Das passiert dann aber unabhängig von uns, wir berichten nur, alles andere wäre berufsethisch nicht in Ordnung.
Was ist eine Eidesstattliche Versicherung?
Eine Versicherung an Eides statt ist ein von Dir unterschriebenes Dokument, in dem Du versicherst, dass die von Dir gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen. Dieses Dokument ist strafbewehrt, das heißt, solltest Du in dieser Versicherung nicht die Wahrheit sagen, kann das bestraft werden. Gerade in MeToo-Recherchen ist es inzwischen in Deutschland wichtig, dass Menschen ihre Angaben an Eides statt versichern, denn das erhöht die Glaubwürdigkeit der Aussage – ohne eine solche Versicherung ist eine Berichterstattung aus presserechtlichen Gründen in Deutschland derzeit nur schwer möglich. Wir haben in den vergangenen Jahren Erfahrungen mit diesen Versicherungen gesammelt und können Dir – sollte es dazu kommen – entsprechend erklären, wie die Abläufe sind.
Bezahlt Ihr mir einen Anwalt, wenn ich eine Anzeige erstatten will oder selbst verklagt werde?
Nein, das dürfen wir nicht. Wir arbeiten gewissenhaft, damit Menschen, die anonym bleiben wollen, auch anonym bleiben können. Wenn sich Menschen jedoch entscheiden, an die Öffentlichkeit zu gehen, dann können wir über sie berichten, aber wir können Quellen oder deren Anwälte nicht finanziell unterstützen, genauso wenig wie wir mit Behörden zusammenarbeiten können. Damit würden wir eine berufsethische Linie überschreiben.
Wie geht es nach einer Veröffentlichung weiter?
Wir bleiben mit Dir in Kontakt, wenn und wie Du das wünschst, stehen für Fragen zur Verfügung oder für einen weiteren Austausch. Häufig ist es zudem so, dass es bei einer Recherche von uns nicht nur eine Veröffentlichung gibt, sondern wir länger an einem Thema bleiben. Es kann also sein, dass wir mehrmals berichten, neue Aspekte spannend werden, wir aus einem ersten Beitrag später noch eine Doku oder einen Podcast machen. Wenn es sich ergibt und es für beide Seiten funktioniert, kann ein solcher Kontakt also auch länger laufen. Gerade wenn Du nicht nur über eine einzelne Erfahrung mit uns sprechen willst, sondern mehr Informationen hast und einen längerfristigen, fortlaufenden Einblick gewähren kannst, könnte aus einem ersten Kontakt auch ein langfristiger Austausch entstehen.
Ich hoffe, dass diese Antworten ein wenig helfen. Und dass sie Menschen deutlich machen, dass ein Gespräch mit meinen Kolleg*innen und mir sehr niederschwellig und in einem sicheren, vertraulichen Rahmen stattfinden kann. Die Kontrolle bleibt bei der Quelle. Nur weil wir ein erstes Gespräch führen, gibt es keine Verpflichtung, dass daraus etwas entsteht. Das ist mir wichtig.
Solltet Ihr weitere Fragen zu diesem Thema haben, könnt Ihr mir diese entweder in den Kommentaren stellen oder mir individuell (und gerne auch über vertrauliche Kanäle) schreiben. Und falls Ihr Menschen kennt, die möglicherweise relevante Erfahrungen gemacht oder Dokumente zur Verfügung haben (zum Beispiel zu MeToo und Gewalt in der Musikindustrie), die sie mit mir teilen sollten, dann leitet ihnen diesen Beitrag gerne weiter.
Falls Ihr in den kommenden Tagen gute Recherchen lest, hört, schaut – egal ob lokal, national oder international: schreibt sie mir hier in die Kommentare oder schickt sie mir an daniel.drepper@proton.me.
Alles Gute und bis zum nächsten Recherchebrief
Daniel
Der Part zur eidesstattlichen Versicherung ist schlicht unrichtig, wenngleich ein häufig vorkommender Irrtum. Im Strafgesetzbuch, konkret § 156, heißt es : "Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt (...), wird (...) bestraft." Die Presse ist vieles, aber sicherlich keine Behörde.
Eine Anmerkung: das Thema "Eidesstattliche Versicherung" ist komplexer als hier beschrieben wird.
Das hat etwas mit der Stelle zu tun, vor der diese abgegeben wird.
Per se ist eine Eidesstattliche Versicherung, die gegenüber einem Verlag, bzw. Redaktion abgegeben wird, nicht zwingend strafbewehrt. Sie kann allerdings in einem weitere Fortgang einer dann möglichen juristischen Auseinandersetzung als strafbewehrte mögliche falsche Eidesstattliche Versicherung durch die Gegenseite eingeführt werden.
P.S in der Causa Lindemann habe ich das über Kommentare von Juristen hier bei FB lernen müssen.
Die Hausjuristen wissen sicher mehr.